Mittwoch, 14. Dezember 2016

Ausgezeichnet: Dankbarkeitsmedaille (Medal Wdzięczności) der Solidarność für Axel Reitel und andere ehemalige politische Gefangene

Sir Elton John, Heinrich Böll (posthum), Lew Kopelew (posthum) u.a. haben sie schon bekommen.

Polen: Hohe Auszeichnung für ehem. Politische Gefangene          

cw – 1981 waren die drei Männer im Cottbuser Gefängnis in den Hungerstreik getreten. Sie wollten damit die Ideen der Gewerkschaftsbewegung Solidarność unterstützen. Für diese mutige Haltung erhielten Knut Dahlbor, Axel Reitel und Viktor Witt am 12. Dezember in Danzig die „Dankbarkeitsmedaille“ des Europäischen Zentrums für Solidarität. International bekannt wurde ihr Schicksal durch den DW(Deutsche Welle)-Film „Lernt Polnisch”. Die 45minütige Dokumentation wurde in Co-Produktion mit Telewizja Polska (TVP) produziert und 2014 der internationalen Öffentlichkeit vorgestellt.
„Diese Männer zeigten ungeheuren Mut und machten klar, dass der Kampf um die Demokratie keine Grenzen kennt“, sagte der stellvertretende Vorsitzende des polnischen Senats und Mitbegründer der Solidarność, Bogdan Borusewicz, zu der Preisverleihung. „Endlich bekommen sie einen handfesten Dank dafür, was sie 1981 in dem Cottbuser Gefängnis für die Demokratie in diesem Teil Europas getan haben.“
Der Film erzählt von den Anfängen des Widerstands einer fast vergessenen Bewegung in der ehemaligen DDR. In eindrücklichen Bildern wird die Aufbruchstimmung und die Courage der DDR-Bürger dokumentiert, die für ihre Ideale ins Gefängnis gingen. Am Ende stehen sich Lech Wałęsa, der damalige Chef von Solidarność, und ehemalige DDR-Oppositionelle gegenüber. Sie reichen sich 25 Jahre nach dem Fall der Mauer die Hand in Danzig, der Stadt, in der alles begann.
Die Dankbarkeitsmedaille wird seit 2010 in Danzig verliehen. Sie dient dem Gedenken an die polnische Oppositionsbewegung Solidarność und soll die Menschen ehren, die Solidarność weltweit in den 1980er-Jahren unterstützten.
Von einer ähnlichen Schaffung einer Auszeichnung in Deutschland ist 26 Jahre nach der Wiedervereinigung nichts bekannt. Auch hier wäre Lernfähigkeit angezeigt. Bereits in den neunziger Jahren erhielt der 17.Juni-Kämpfer und ehemalige Bauarbeiter an der Stalinallee, Manfred Plöckinger, in Anwesenheit der seinerzeitigen Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Hanna Renate Laurien, die „Kombattantenmedaille“ Polens, mit der die einstigen Aufständischen in Posen von 1956 ausgezeichnet worden waren. Posthum erhielt Plöckinger nach seinem Tod (2002) ein Ehrengrab im Ehrenhain „17.Juni 1953“ auf dem Friedhof Seestraße im Berliner Bezirk Wedding. Wenigstens das.*




Dankesrede aus Anlass der Verleihung der „Dankbarkeitsmedaille“ an mich und vier andere vom und im Europäischen Solidarność-Zentrum (ECS) in Danzig am 12. Dezember 2016,
von Axel Reitel, Schriftsteller mit Wohnsitz in Berlin. 

Verehrte Teilnehmer und Zeitzeugen der Danziger August-Streiks 1980 und der Zeit des Kriegsrechts ab dem 13. Dezember 1981
Verehrte Mitglieder des Auswahl-Ausschusses,
verehrte Mitglieder des Europäischen Solidarność-Zentrums,
liebe Mit-Geehrte,
liebe Lebensgefährtin,
verehrte Damen und Herren, liebe Freunde!

die „Ausrufung“ der Protestaktion gegen das Kriegsrecht und für die uneingeschränkte Zulassung der Solidarność, geschah  in einem Gefängnis, das vom Ministerium für Staatssicherheit indirekt verwaltet und fest in den Transaktionen der für die Staatsdevisen der DDR verantwortlichen Kommerziellen Koordinierung, kurz: KoKo, verankert war. Sie begann mit handgeschriebenen Aufrufen am 14. Dezember - und erreichte ihren Höhepunkt am 17. Dezember 1981. Das Gefängnisregime war durch Zellenspitzel vom ersten Tag an vorbereitet. Am 17. Dezember erwartete die Arbeitskommandos  in der Speisebaracke eine Hundestaffel. Essen! wurde befohlen. Die Listen aller Verweigerer gibt es: sie werden der Forschung durch die Behörde für die Unterlagen der Staatssicherheit  nur geschwärzt zur Verfügung gestellt.

Während jener vier Tage war das Haftpersonal bewaffnet und lungerte in Scharfschützenmanier auf den Dächern. Wir blickten einander an und die Frage lautete, ob sie schießen. Die Antwort überrascht am Ende vielleicht nicht einmal, aber ich muss gestehen, dass mich die Möglichkeit, einer von dreihundertfünfzig niedergeschossenen politischen Häftlingen zu sein, auch heute noch etwas nervös macht.

Doch es hat sich alles gelohnt.

Der beeindruckende Kampf der Solidarność um Freiheit, Unabhängigkeit und Wohlstand mündete nicht nur im Untergang des hermetischen Ostblocks sondern es erneuerte grundlegend die Europäische Union. Den klugen Köpfen der Solidarność war es aus staatstheoretischer Sicht klar, dass Polen „an seiner Westgrenze ein wiedervereintes Deutschland und keine stalinistische DDR“ braucht. So steht es in den Sonderberichten der Verwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR vom 12. Dezember 1981. Und weiter dort „Fernziel des ["Komitees zum Schutz der Arbeiter" für inhaftierte Dissidenten, kurz]: KOR ist die Eingliederung der Volksrepublik Polen in ein vereintes Europa mit einem wiedervereinten Deutschland.“ Das ist nun alles so geschehen.

Die ebenfalls notierte „Überzeugung…dass die Entwicklung in Polen auch auf die DDR übergreifen wird“,  hat sich dagegen nicht bestätigt. Gewiss lagen vielen Menschen in der DDR die August-Ereignisse 1980 am Herzen, am Ende traten zu wenige dafür ein. Auch die friedliche Revolution 1989 in der DDR bekannte sich kaum zu ihrem Vorbild Polen. Deshalb ist es auch kaum verwunderlich, dass der von seiner Anzahl größte Protest in der DDR gegen das Kriegsrecht in Polen ausgerechnet in einer DDR- Strafvollzugseinrichtung stattfand. Nirgends im Land war das Wort so frei als im politischen Gefängnis.

Und auch die Antwort auf unsere Frage ist moderner denn je: Die KoKo, die von Honecker 1966 gegründete Kommerzielle-Koordinierung, war unermüdlich damit beschäftigt, harte Weltmartktwährung, Devisen genannt, in die ewig klammen Kassen der DDR zu spülen. Dazu gehörte auch der frei verkaufbare unbekannte politische Häftling (offiziell durfte es den ja nicht geben).

Aktenkundig sind zwar Gespräche zwischen der Gefängnisleitung  und dem zentralen Operativstab der Stasi über den praktischen Einsatz einer bewaffneten Truppe.  Doch welcher praktische, vernunftbegabte Mensch schießt eine Ware im Geld-Wert von 95.847 mal 350, das sind 33.546.450 Valuta, über den Haufen?  Der Chef der Kommerziellen Koordinierung, Schalck-Golodkowski, dessen Vater bereits ein guter Rechner beim russischen Zaren gewesen ist, dürfte sich, hoch oben, im Sitz der KoKo, im 23. Flur des Internationalen Handelszentrums an der Friedrichstraße, die Haare gerauft haben - und da wurde eben nicht geschossen!

Schon für Marx war „in Wirklichkeit die treibende Kraft die Beziehung des Menschen zur Materie und das wichtigste daran seine Produktionsweise. Dadurch [wurde] der Marxsche Materialismus in der Praxis [ja] zur Wirtschaftslehre.“[i]

Aber auch aus anderen Gründen wird weiter nach Marx gegriffen, in Opportunitätserwägungen einbezogen, um unablässig zu schmähen, was nicht den Beschreibungen des eingeübten Standpunktes entspricht. Bis  heute ist „die Rechte nicht eben ein  leuchtendes Vorbild. Aber die Linke ist schizophren“[ii] geblieben. Ihr fehlt weiterhin die „Festigkeit der Überlegung und auch ein wenig Bescheidenheit“, stattdessen ergeht sie sich in „eingebildeten Gewändern“[iii]

Man muss seine Zeit wie einen Erwachsenen betrachten, daß heißt ohne voreingenommene Sympathie oder Antipathie. Das heißt nach den Maßstäben der Kritik und der Vernunft.                                                
Möge diese Medaille also auch Gruß und Zuspruch für alle sein, die verstehen wollen und nicht richten, die für eine gerechte Gemeinschaft kämpfen und für Wahrheit und Freiheit gewaltlos im Einsatz sind. Und auch im Gedenken an die bislang namenlos gebliebenen Mit-Streikenden möchte ich mich noch einmal bei den Mitgliedern des Ausschusses und beim Solidarność-Zentrum für diese hohe Auszeichnung aufrichtig bedanken und Sie alle herzlich grüßen.                                                                                                                                                    

Haben Sie Dank für Ihre  Aufmerksamkeit.                                                                                                   
©2016 by Axel Reitel


[i] Vgl. Bertrand Russel, Philosophie des Abendlandes, Europa Verlag Zürich 2007, S. 791.
[ii] Vgl. Albert Camus, Verteidigung der Freiheit, Rowohlt 1997, S. 119.
[iii] Ebenda.



V.l.n.r.: Basil Kerski, Thomas Zaremba, Viktor Witt, Bogdan Borusewicz, Bernd Schalbe i Axel Reitel








































Fotos: Dominik Paszliński/www.gdansk.pl

* Quelle:  https://17juni1953.wordpress.com/category/hohenecker-bote/ (Letzter Zugriff 07.01.2017)




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