Sacharow-Preis 2018
Der Tag nach Straßburg in Berlin
Der Tag nach Straßburg in Berlin
Veranstaltungsbericht
von
Axel Reitel
PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland
(PEN exil)
PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland
(PEN exil)
v.r.n.l. die Moderatorin Andrea Despot, Senzows Anwalt Dimitri Dinze,
Natalja Kaplan, Rebecca Harms, Dr. Stefan Meister
Frank Piplat, Leiter des Verbindungsbüros
des Europäischen Parlaments in Deutschland
Natalja Kaplan
Fotos:AR
Am 14. Dezember 2018 fand von 10.30 Uhr bis 12. 30 Uhr im
Verbindungsbüro des Europäisches Parlaments in Deutschland, Berlin,
Unter den Linden, die Nach-Veranstaltung zur zwei Tage vorher
stattgefundenen Straßburger Verleihung des Sacharow-Preises 2018 an
den seit vier Jahren im Lager der westsibirischen Siedlung Labytnangi
schmorenden Filmemachers Oleh Senzow statt.
Dabei standen im Mittelpunkt der Gesundheitszustand Oleh Senzows nach
dessen 145-tägigen Hungerstreik, um auf die Freilassung der
insgesamt siebzig ukrainischen Gefangenen einzuwirken, und wie die
Verleihung des Preises auf das weitere Schicksal Senzows einwirkt.
Des Weiteren standen zur Debatte Fragen rund um die im vierten Jahr
sich befindende Krim-Krise "Wie ist der Stand? Wie geht es
weiter? Was kann die EU tun?".
In seinem Grußwort fasste Frank Piplat, Leiter des Verbindungsbüros
des Europäischen Parlaments in Deutschland, die Entscheidung der
Jury des Sacharow-Preises noch einmal zusammen. So sei Senzow mit
seinem Einsatz zu einem Symbol des Kampfes für die Freilassung von
politischen Gefangenen in Russland geworden.
Die Abgeordnete des EU-Parlaments in Straßburg haben unter dem
Hashtag "#LetSensovGetSakharov" in den sozialen Medien
gefordert, dass der Regisseur den Preis persönlich entgegen nehmen
darf.
Dass Oleh Senzow die persönliche Entgegennahme des Preis nicht
gestattet wurde, ist eine alte ideologische Tradition, die nach den
Zeiten Stalins und Breschnews in Russland wieder Fuß zu fassen
scheint.
Oleh Senzows Anwalt Dimitriy Dinze sagte auf dem Podium, dass der
Regisseur nur wenig Hoffnung habe, freigelassen zu werden. Oleh
Senzows Cousine Natalja Kaplan stellte dem zahlreichen Publikum der
Veranstaltung ihren Cousin etwas näher vor. Wie er nach dem Studium
der Ökonomie in Kiew sich für Filmregie und Drehbuch in Moskau
einschrieb. Wie mit dem ersten Kurzfilm „A Perfect Day for
Bananafish“ 2008 einen Achtungserfolg errang und bereits im
darauffolgenden Jahr mit dem zweiten Kurzfilm „Das Horn von einem
Stier“ von der Klasse der Filmemacher wahrgenommen wurde. Wie sein
erster Spielfilm "Gamer" über einen Videospiel-Wettbewerb,
mit dem er auf dem Internationalen Filmfestival in Rotterdam im Jahr
2012 debütierte, auf viel Lob stieß und die Finanzierung für seine
nächste Filmproduktion „Rhino“ sicherte. Wie er diesen geplanten
Spielfilm im November 2013 für sein Engagement in der
Euromaidan-Protestbewegung unterbrach.
Doch wenn man hoffe, dass der Preis den Druck auf Russland erhöhe,
womöglich ihn und alle ukrainischen politischen Gefangene sofort
freizulassen, solle man sich Olehs Schicksal bis zum heutigen Tag
noch etwas genauer vor Augen führen.
Der 42-Jährige stammt von der Krim und ist ein Gegner der russischen
Annexion. Er ist ein Verfechter der Freiheit und der Demokratie.
Deshalb auch engagierte er sich seit 2013 bei den proeuropäischen
Protesten auf dem Maidan. Dann wurde er im August 2015 unter dem
hinter verschlossenen Türen ausgedachten Vorwurf eines angeblich
geplanten Terroranschlags auf die Krim-Halbinsel zu 20 Jahren
sibirischer Lagerhaft verurteilt. Seither fordern EU, der Europarat,
Amnesty International, die USA und viele Prominente vergeblich (!)
seine Freilassung.
"Zum Zeitpunkt der Haft war Oleh alleinerziehender Vater zweier
Kinder. Und nicht einmal zum Wohle seines autistischen Sohnes hat er
Putin um Gnade ersucht. Oleh ist sehr prinzipientreu", erklärte
weiterhin seine Cousine. Und: "Kein Preis ersetzt die Freiheit",
fügte Natalja Kaplan - mit größter Sanftmut - klar und deutlich
hinzu.
Zur den tieferen Fragen der Krimkrise standen der Podiumsdiskussion
Rebecca Harms, Mitglied des Europäischen Parlaments und
Vorsitzende der Parlamentarischen Versammlung Euronest
(Europa-Nachbarschaft Ost) und Dr. Stefan Meister, Leiter des Robert
Bosch-Zentrums für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien
zur Verfügung.
Die Moderation hatte Andrea Despot, Direktorin der Europäischen
Akademie Berlin, die geschickt und charmant durch die Veranstaltung
führte.
Zum Sacharow Preis heißt es im Bericht aus Straßburg: "Der
EU-Menschenrechtspreis trägt den Namen des sowjetischen Physikers
und Dissidenten Andrej Sacharow. Er arbeitete lange am sowjetischen
Kernwaffenprogramm, bevor er sich ab Ende der 1960er Jahre für
internationale Abrüstung und eine Demokratisierung der Sowjetunion
einsetzte. Für sein Engagement wurde ihm 1975 der Friedensnobelpreis
verliehen. Nachdem seine Frau diesen für ihn entgegen genommen
hatte, galt der Physiker als Staatsfeind.
Der nach ihm benannte Preis wird seit 1988 jedes Jahr vergeben, um
Menschen und Organisationen zu ehren, die in besonderer Weise
weltweit Menschenrechte und Grundfreiheiten verteidigen. Er ist mit
50.000 Euro dotiert und wird jedes Jahr in Straßburg verliehen.
Vorgänger Oleg Senzows als Preisträger sind unter anderen der
frühere südafrikanische ANC-Führer Nelson Mandela und die
demokratische Opposition in Venezuela."
Insgesamt umgab die Veranstaltung ein freiheitliches, ein offenes,
ein europäisches Flair: Wir können nicht anders, wir bleiben, mit
allen Mitteln der Diplomatie, der Hoffnung auf den Fersen.
Berlin, 21.12.2018