Experte: Hölderlin bedeutender als Goethe und Schiller
Geboren: 20. März 1770, Lauffen am Neckar
Ausbildung: Evangelisches Stift Tübingen (dort mit den Kommilitonen Hegel und Schelling befreundet)
Im Gegensatz zum „Trivialisator“ Schiller ist Hölderlins Werk frei von Populismus
MARBACH AM NECKAR (BLK) – Der Dichter Hölderlin ist nach Expertenansicht viel bedeutender als Goethe und Schiller. Eine angemessene Würdigung des Werks von Friedrich Hölderlin (1770-1843) stehe noch immer aus, sagte der Literaturwissenschaftler Dietrich Eberhard Sattler in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. „In Deutschland kommt immer erst Goethe, dann Schiller und dann lange nichts“, kritisierte Sattler, der jetzt eine Gesamtausgabe der Werke Hölderlins vollendet hat.
Die 20 Bände umfassende Ausgabe im Stroemfeld-Verlag enthält nicht nur die Dichtung, sondern auch biografisches Material. Sie umfasst nach Angaben Sattlers alles, was zu Schaffen und Leben zur Verfügung steht, und sei damit ein „Buch des Lebens“ des weltweit bekannten Dichters.
Neben Goethe und Schiller habe es Hölderlin schwer gehabt. Er habe „viel eingesteckt“, sei von den anderen Autoren seiner Zeit erniedrigt worden, sagte Sattler. Im Gegensatz zum „Trivialisator“ Schiller sei Hölderlins Werk frei von Populismus. „Es ist die reine Stimme des Dichters – Hölderlin war unkorrumpierbar.“ Sein Werk könne „ohne Zorn und Trillerpfeife“ Kraft geben. Im Gegensatz zu Schiller stehe Hölderlin „als dichterischer Mensch unabhängig zwischen Himmel und Erde“.
Von keinem anderen Werk lasse sich sagen, es sei philosophisch, poetisch und prophetisch zugleich, sagte Sattler. Philosophisch, weil es aus persönlicher Erfahrung allgemeingültige Konsequenzen ziehe. Poetisch, weil es entgegengesetzte Denkformen verbinde. Und prophetisch, weil der Wahrheitsgehalt seiner Zeichen erst in der Geschichte nach ihm an den Tag komme.
„Da hat jedes Wort Bedeutung, da ist jedes Wort herrlich – wie Edelsteine“, schwärmte der Herausgeber. Gerade in einer Zeit, in der sich die „bedingungslose Zeitgenossenschaft“ als falsch erwiesen habe, die Nation im „Profitfaschismus“ versinke und die halbe Welt verhungere, könnten Hölderlins Hinterlassenschaften Zeichen setzen. Dass Hölderlin am Ende seines Lebens wahnsinnig geworden ist, erklärt der Experte mit einer „anderen Art zu denken – einer Art Wahrsinn“ und mit „geistiger Virtuosität, die unserem Mittelmaß verschlossen bleibt“.
Friedrich Hölderlin wurde 1770 in Lauffen bei Heilbronn geboren; er starb 1843 in Tübingen. In der deutschen Literatur um 1800 nimmt sein Werk eine selbstständige Stellung neben Klassik und Romantik ein.
(Gespräch: Roland Böhm, dpa/wip)
Friedrich Hölderlin - Historisch-Kritische Ausgabe: http://www.hoelderlin.de/