Mittwoch, 27. September 2017

"Der Weg der Kunst": Die Dechiffrierung des Schimmers. Annotation zu Hubertus Giebe



"Der Weg der Kunst"*

von

Axel Reitel

Wirklich urteilen kann nur die Partei, als Partei aber kann sie nicht urteilen. Demnach gibt es in der Welt keine Urteilsmöglichkeit, sondern nur deren Schimmer.i

Frank Kafka

I.
 
Die Dechiffrierung des Schimmers



Annotation zu Hubertus Giebe

 
Er liebt das Leben und sieht den Tod.ii
                                                                    
Dieter Hoffmann

 

1979

Der DDR-Kunst wird nachgesagt, sie eile gehorsam im Parteiauftrag voraus. Was der Partei nicht angenehm ist, gehöre nicht ins Repertoire. Sie bevorzuge statisch affirmative, nicht dynamisch fragende Symbole, deshalb sei ihre Aussage um eine entscheidende Dimension „flacher und ärmer“. Wechselt man den Standpunkt, lautet das Ergebnis am Beispiel Tübke umgekehrt: Seine Gestalten sind um soviel plastischer wie sie die gesellschaftliche Wahrheit „sichtbar aussparen“. Das geschieht beim großen Panormabild vor den Augen des Betrachters. Dabei erinnere ich mich an den Besuch einer Kunstausstellung in Dresden. Nämlich was mir dabei fehlt. Das Betrachten des großen Kriegstryptichons von Otto Dix evozierte erzählte Kriegserlebnisse meines Vaters und andere, vorher noch undurchsichtige Zusammenhänge, tauchten auf. Dann wende ich mich Willy Sittes großformatiger Vervielfachung eines Schwimmers zu, bei der mir dieser stille Fingerzeig ruht. Das Bild wirkt sehr realistisch, die Farbe ist sehr lebendig, aber es vermittelt dem Achtzehnjährigen nicht den „Sinn für alles wirklich Gewesene“iii. Die Haltung des Schwimmers scheint eher wie ausgesperrt, sie überbrückte keinen Abgrund, den die Macht gegen die Masse „aufgerissen“ hat. Dort „die tobende Vernichtung“iv, hier die ausgesperrte Zukunft: Indessen ist der junge Betrachter auf der Suche nach den Zusammenhängen der Faktoren - wie sie mir Jahre später die Bilder des Malers Hubertus Giebe offenbaren -, und befürchtet ein paradoxes Phänomen.

1990


Im Jahr 1990 kehre ich, mit einem Kunstgeschichtsstudium im Rücken, in meine Mutterstadt zurück. Mit Rückkehr ist die Suche nach den Zusammenhängen keineswegs abgeschlossen. Sittes Staat ist untergegangen. Gut. Die Entschlüsselung des „Schwimmers“ aber fällt mir bereits in den frühen 1980er Jahren im gesellschaftlich höher gestaffelten Stasigefängnis wie Schuppen von den Augen. Wenn Franz Kafka sagt, „von einem wahren Gegener wachsen dir unermessliche Kräfte zu“, so sehe ich den mir zugewiesenen Vernehmer als jenen Schwimmer, der sich vor den Augen des Vernommenen verdoppelt und verdreifacht in seiner unermesslichen Macht, und doch es ist ein trauriger Anblick, denn er bleibt ausgesperrt vor den inneren Interessen seiner Partei, die sich weder nach dem Guten und Bösen richten, sondern einzig nach ihrem Erhalt. Wie weit diese aggressive Macht bereits gegangen ist dabei, zeigen die Schauprozesse der 1930er und 1950er Jahre. Einserseits müsste man dort ansetzten und nicht in „furchtbaren Wirrnissen“v davonkraulen, andererseits schlägt die Zeit dialektisch um sich: Wirr und zusammenhanglos stehen die Stasi-Vernehmer 1990 auf der Straße: ihre Geheimarchive offen und die Straße kennt all ihre Namen. Und die Stasi war auch mein Eckermann. Die ausführliche Inhaltangabe vorbereiteter Reportagen über Zustand und Zusammenhang eine ausgegrenzten Jugend im südlichen Vogtland füllen zwei Verhörprotolle an zwei aufeinanderfolgenen Tagen. Als ich im Sommer 1990, bei einem anderen befreundeten Maler, erstmals einen Katalog von Hubertus Giebe aufschlage, kommt alles aus dem „Orkus“ herauf, was Leben hatte, „das jetzt Leben hat“, als wäre von einmal „alles klar“ mit all den verborgenen Motiven und „was eigentlich es ist“vi, das zur Dunkelheit bewegt. Rembrandt malte das „wie durch dunkles Glas“. Auch er liebte das Leben und sah den feigen Hund, Gevatter Hain. Bei den Neuen Meistern aber fällt es mir zum ersten Mal auf in jenem Katalog (Aufzählung aus dem Gedächtnis): „Zwei gekreuzte Männer“, „Der Widerstand“, „Die Bedrohung“, „Aufmarsch der Puppen“, „Schein & Chock“. Allesamt Bilder, „die in einen einbrechen beim ersten Blick“vii, der Eindruck„ist intensiv“viii und ganz „ohne donnernden Anspruch, in Mode“ix zu kommen. Und gleich noch ein seltsames Wort: Ich fühlte mich entschädigt. Was das heißt, dazu schreibt Franz Kafka, „durch ein Wort, durch einen Blick, durch ein Zeichen des Vertrauens [kann] mehr erreicht werden als durch lebenslange, auszehrende Bemühungen“x. Durch ein Bild, durch zwei Bilder, durch drei Bilder, durch vier Bilder, durch fünf Bilder: Die Suche abgeschlossen, Ballast abgeworfen, von leichtem Gewicht, eine Tür geöffnet. Die Annäherung an geschehene Geschichte, die Dechiffreriung des „Schimmers“, geht mich als Schriftsteller ebenfalls viel an. Dabei kann ich noch immer viel von der „monolithischen“xi Bildwelt Giebes lernen, zum Beispiel „die nötige Entfernung“xii . Und die Bewunderung für sein „kraftvolles, reiches Schaffen“xiii nimmt immer mehr zu.

Foto: Sandstein Verlag 2016 
 
 
 
2016/17


Der ausgebreitete Katalog Schein & Chock aus dem Jahr 2016 wiederholt und verstärkt dannn auch den ersten Eindruck: Doppelseitig in edlem Farbdruck habe ich erneut das titelgebende Gemälde (für Walter Benjamin) vor Augen. Die mit dem mörderischen Überfall des „banalen Bösen“ in dunkler Schlucht gefangene Figurengruppe kann angesichts der heutigen - der aktuellen - gewalttätigen Bedrohungen auf der halben Welt gezeigt werden und jeder könnte die Darstellung dieses unheimlichen Seelenraubes verstehen. „Wo aber Gefahr ist, ist das Rettende auch“, wusste der in der Welt wohl berühmteste deutsche Dichter Hölderlin. Rückverknüpfungen mit geschehem Unrecht erzeugen ja ihre eigene Wirksamkeit, sie sind „nichts weniger als schwächliche Schwärmerei“ (so wie mir der „Schwimmer“ heute noch vorkommt, sorry W.S.!), sondern „Tiefe, welche sich zugleich als Kraft, als Fülle empfindet“xiv. Doch noch einmal Vorsicht! (um mit einem Wort meines geschätzten Kollegen Udo Scheer überzuleiten): Die „dämonischen Kräfte des Lebens“xv, „das [ihnen] Charakteristische und Bedrohliche“xvi, sind vom „Fleische“ dieser Welt, obwohl es doch offensichtlich von Geburt an darum geht, „daß man gern auf dieser Erde lebt“ (Reiner Kunze). Diesen Widerspruch kennt nur zu gut der Maler und Zeichner Hubertus Giebe. Seine zur „endlichen Selbsterkenntis“ gehörende „Außenkenntnis“ ist davon gespeist. Das Rettende findet er darin, „einen Ausgleich zwischen beiden Polen zu finden, also die sehr problematische Formel und die sehr mächtige Formel eines Kompromisses im Leben“xvii. Tatsächlich kommen Giebes Landschftasbilder ohne diese menschliche Zerissenheit aus, sie brauchen sie nicht, ihre „Zungen“ preisen die erfindungsreiche Natur und ihre perspektivreiche Schönheit trifft einen, als wären unsere Gebete erhört und der böse Strick zerissen. Das Gemälder „Sommergarten“ sah ich nach der wunderbaren Personalaustellung in der Kunstsammlung der Städtischen Galerie Dresden, wieder vorzüglich ausgleuchtet in der Berliner RAAB-Galerie. Und das Leuchten aus der Mitte des Gemäldes war so - als gäbe es nichts anderes mehr als das Erfreulichste, „das Licht“, wie Schopenhauer konstatiert. Den gleiche Eindruck verschaffen auch „Großer Garten im Mondlicht“, „Bugewitz (Oderhaff), „Wattenmeer bei Dangst“, „Stilleben mit Monstera und Kerze“. Sodann die vollendeten Portraitgemälde. Auch diesen Bildnissen wohnt ein Leuchten inne, wo „die Menschen sich [nicht] wider uns setzen“ (Psalm 124). Burghard Menzel lernte ich selbst einmal in der Herulesstraße 4 kennen. Ein hoch gebildeter Mann mit einer von Grunde auf angenehmen, ja schon inspirierenden Austrahlung. Im Bildnis ist alles glücklich erwacht. Frei nach Tucholsky: Wird sich der Traum einer glücklich erwachten Welt einmal verwirklichen?



Hubertus Giebe, Schein & Chock, 160 Seiten, ausgewogener Textanteil, Fotos und Farbreproduktionen, Sandstein Verlag 2016. ISBN: 978-3-95498-259-2. 28 Euro.


* Originaltitel von Albert Dresdner. Verlag: E. Diederichs, Jena, 1909
 
iFranz Kafka, Das dritte Oktavheft, in: Das Werk, Zweitausendeins 2004: 660.

iiDer Zeichner Hubertus Giebe, in: Texte zu Hubertus Giebe 1978-1994, Dresden 1995: 63.

iiiThomas Mann: Rede über Deutschland und die Deutschen. Gehalten am 6. Juni 1945 in der Library Of Congress, Washington. Suhrkamp Verlag Berlin 1947: 27.

ivWilhelm Fraenger, Bosch, VEB Verlag der Kunst Dresden 1975:219.

vErasmus von Rotterdam, „Lob der Torheit“, zitiert in Mann: 25.

viArthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena I, Haffmanns Verlag 1999: 483.

viiEva Strittmatter, in: Texte zu Hubertus Giebe 1978-1994, Dresden 1995: 19.

viiiTitia Hoffmeister, ebenda: 66.

ixAnnita Tozzi-Wiesmann, ebenda: 39.

xFrank Kafka, Das Schloß, ztitiert in:Axel Reitel, Jugendstrafvollzug in der DDR, Köster 2012: 16.

xiHubertus Giebe, Schein &Chock, Sandstein Verlag (Katalog) 2016: 62.

xii Hubertus Giebe: Dresden Neustadt: Zwischen Frühlingsstraße und Lutherkirche, Städtische Sammlung Freital 2013:29.

xiiiGisbert Postmann, in: Sandstein:7.

xivMann: 26.

xvEbenda.

xviMann:27.

xviiSandstein:64.

Mittwoch, 6. September 2017

Galerie, Galerie: "History of Art" - El Bocho und andere: Vernissage am 16.9.2017 in der Berliner RAAB-Galerie

  jrgallery - Goethestraße 81, 10623 Berlin    Raab Galerie – Goethestraße 81, 10623 Berlin





Einladung zur Ausstellungseröffnung

History of Art

am Freitag, den 8.September 2017 in der Zeit von 18 bis 21 Uhr
mit Werken von
u.a. Albert- Baumgärtel Bleckner El Bocho Dessi Dichgans Dine Fetting Führer Giebe Gur Hödicke Kaletsch Kim Kirke Klemm Köhler Krammer Lagqaffe Lüpertz Maron Molfetta Qin Raminhos Schlüter Salome Sous Sultan Trökes Vellguth Wolf Ye
 
                        Liebe Freunde und Sammler der Raab Galerie,

es gehört dazu, sich Fragen an das Meisterwerk,die Kunstgeschichte, die Bedeutung eines Künstlers zu stellen, auch wenn man sie in der eigenen Zeit kaum unbeeinflußt  beantworten kann. Einen Anhaltspunkt gibt es jedoch immer: das Kunstwerk, das einen anstrahlt und ein Spiegel des eigenen Urteils ist, das sich aus einer Fülle von Informationen über Kunstwerke herausgebildet hat, ganz unabhängig vom Kunstmarkt, von Sachverständigen, Schätzpreisen und Ranglisten der besten zeitgenössischen Künstler. 
Spannend ist an der Kunstgeschichte, dass sie Künstlerleben über Jahrhunderte verlängert, ein Künstler, der sich heute auf Rubens bezieht, holt die ganze Geschichte mit an Bord. Voraussetzung ist, dass der Wettstreit bestanden wird, dass nämlich sichtbar wird, warum dem Vorbild aus heutiger Sicht noch etwas hinzuzufügen ist, was abzuändern, umzudichten wäre und wie das auch den Blick auf das kunsthistorische Vorbild verändert, was im besten Fall wieder hochaktuell durch die Neuinterpretation wird.
                             





 
.
 Wenn Künstler in Museen gehen, besuchen sie dort die Lieblingswerke ihrer Lieblingskünstler. Danach können sie vor der eigenen Leinwand ausprobieren, wie leicht oder komplziert der Malstil des Kollegen selbst zu bewerkstelligen ist und ob die Effekte auch für das eigene Werk taugen. Über Generationen kann man tradiertes Wissen um Licht und Schatten, Farbauftrag, Farblehre und eigene Handschrift bewundern, weil Wettbewerb nicht bei der eigenen Generation aufhört. Vieles gerät einmal aus der Mode, oft nur, bis die Mode in anderer Verkleidung wiederkehrt.
Auch Stilrichtungen üben großen Reiz auf Künstler aus. Es gibt Einflüsse, die nicht nur von bildender Kunst ausgehen, sondern in Literatur, Mode, Film, Comic zu Hause sind, wie der Surrealismus. Wem das zu versponnen ist, der kann ganz handfest zur pop art greifen, deren erste Akteure zunächst
hochprofessionell ihr Geld in der Werbebranche verdient haben. Mit dem "popular" Ansatz zeigt sich ihr Spaß am Ausprobieren neuer Effekte.  Sie wissen auch, wie ein attraktives Werk aussehen sollte. Malen wie Lichtenstein muß man dennoch erst einmal können, der hochsensible und zurückgezogen lebende Mensch war seinen Themen in geduldiger, liebevoller Art zugewandt. Viele weitere Richtungen haben die letzten siebzig Jahre in der Malerei definiert. Auf den Surrealismus folgt der abstrakte Expressionismus, der so hochkarätig und subversiv diskutiert wird, dass sich sofort eine Gegenrichtung stark macht: die Neuauflage des gegenständlichen Expressionismus. Angeregt von der Nanotechnik ist auch die Vergößerung/Verkleinerung ein wichtiges Thema, neue Fotos aus den Naturwissenschaften bringen eine subtile Farb- und Foremnwelt hervor, die Künstler wie Ross Bleckner schon seit langem faszinieren. Aus Duchamps Werk haben einige den Schluß gezogen, dass er Malerei abschaffen wollte, das kommentiert jeder Vollblutmaler bis heute mit Schadenfreude und einer Fülle großartiger Bildideen.  Wir erinnern uns jetzt an die Kunstwerke, die zeitgenössiche Kunst angeregt haben und Modell standen für die nächsten Generationen.
Wir laden Sie ein zu besichtigen, was Sie gedanklich beeinflussen und bewegen könnte und freuen uns, Ihnen die vielen Überaschungen zu unserer nächsten Ausstellungseröffnung zu zeigen. Denn es läßt sich nicht abstreiten, den Künstlern hat das Thema gefallen und sie haben uns wunderschöne Werke gebracht. 

Offener Brief: An den Geschäftsführer Lars Kleba, Die Linke Sachsen, und Protestschreiben des P.E.N. Zentrums deutschsprachiger Autoren gegen die Willkürmaßnahme des Oberbürgermeisters von Reichenbach (Vogtland), Henry Ruß

Die Linke Sachsen Lars Kleba Cottaer Str. 6c 01159 Dresden Tel.: 0351 85327-0 Fax: 0351 85327-20 kontakt@dielinke-sachsen.de Sehr geehrter H...