Samstag, 22. Dezember 2018

PEN-Veranstaltungsbericht: Nach Straßburg in Berlin. Sacharow-Preis 2018



Sacharow-Preis 2018
Der Tag nach Straßburg in Berlin
Veranstaltungsbericht
von
Axel Reitel

PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland
(PEN exil)




v.r.n.l. die Moderatorin Andrea Despot, Senzows Anwalt Dimitri Dinze, 
Natalja Kaplan, Rebecca Harms, Dr. Stefan Meister

         Frank Piplat, Leiter des Verbindungsbüros 
        des Europäischen Parlaments in Deutschland

Natalja Kaplan
Fotos:AR




Am 14. Dezember 2018 fand von 10.30 Uhr bis 12. 30 Uhr im Verbindungsbüro des Europäisches Parlaments in Deutschland, Berlin, Unter den Linden, die Nach-Veranstaltung zur zwei Tage vorher stattgefundenen Straßburger Verleihung des Sacharow-Preises 2018 an den seit vier Jahren im Lager der westsibirischen Siedlung Labytnangi schmorenden Filmemachers Oleh Senzow statt.
Dabei standen im Mittelpunkt der Gesundheitszustand Oleh Senzows nach dessen 145-tägigen Hungerstreik, um auf die Freilassung der insgesamt siebzig ukrainischen Gefangenen einzuwirken, und wie die Verleihung des Preises auf das weitere Schicksal Senzows einwirkt.
Des Weiteren standen zur Debatte Fragen rund um die im vierten Jahr sich befindende Krim-Krise "Wie ist der Stand? Wie geht es weiter? Was kann die EU tun?".
In seinem Grußwort fasste Frank Piplat, Leiter des Verbindungsbüros des Europäischen Parlaments in Deutschland, die Entscheidung der Jury des Sacharow-Preises noch einmal zusammen. So sei Senzow mit seinem Einsatz zu einem Symbol des Kampfes für die Freilassung von politischen Gefangenen in Russland geworden.
Die Abgeordnete des EU-Parlaments in Straßburg haben unter dem Hashtag "#LetSensovGetSakharov" in den sozialen Medien gefordert, dass der Regisseur den Preis persönlich entgegen nehmen darf.
Dass Oleh Senzow die persönliche Entgegennahme des Preis nicht gestattet wurde, ist eine alte ideologische Tradition, die nach den Zeiten Stalins und Breschnews in Russland wieder Fuß zu fassen scheint.
Oleh Senzows Anwalt Dimitriy Dinze sagte auf dem Podium, dass der Regisseur nur wenig Hoffnung habe, freigelassen zu werden. Oleh Senzows Cousine Natalja Kaplan stellte dem zahlreichen Publikum der Veranstaltung ihren Cousin etwas näher vor. Wie er nach dem Studium der Ökonomie in Kiew sich für Filmregie und Drehbuch in Moskau einschrieb. Wie mit dem ersten Kurzfilm „A Perfect Day for Bananafish“ 2008 einen Achtungserfolg errang und bereits im darauffolgenden Jahr mit dem zweiten Kurzfilm „Das Horn von einem Stier“ von der Klasse der Filmemacher wahrgenommen wurde. Wie sein erster Spielfilm "Gamer" über einen Videospiel-Wettbewerb, mit dem er auf dem Internationalen Filmfestival in Rotterdam im Jahr 2012 debütierte, auf viel Lob stieß und die Finanzierung für seine nächste Filmproduktion „Rhino“ sicherte. Wie er diesen geplanten Spielfilm im November 2013 für sein Engagement in der Euromaidan-Protestbewegung unterbrach.
Doch wenn man hoffe, dass der Preis den Druck auf Russland erhöhe, womöglich ihn und alle ukrainischen politischen Gefangene sofort freizulassen, solle man sich Olehs Schicksal bis zum heutigen Tag noch etwas genauer vor Augen führen.
Der 42-Jährige stammt von der Krim und ist ein Gegner der russischen Annexion. Er ist ein Verfechter der Freiheit und der Demokratie. Deshalb auch engagierte er sich seit 2013 bei den proeuropäischen Protesten auf dem Maidan. Dann wurde er im August 2015 unter dem hinter verschlossenen Türen ausgedachten Vorwurf eines angeblich geplanten Terroranschlags auf die Krim-Halbinsel zu 20 Jahren sibirischer Lagerhaft verurteilt. Seither fordern EU, der Europarat, Amnesty International, die USA und viele Prominente vergeblich (!) seine Freilassung.
"Zum Zeitpunkt der Haft war Oleh alleinerziehender Vater zweier Kinder. Und nicht einmal zum Wohle seines autistischen Sohnes hat er Putin um Gnade ersucht. Oleh ist sehr prinzipientreu", erklärte weiterhin seine Cousine. Und: "Kein Preis ersetzt die Freiheit", fügte Natalja Kaplan - mit größter Sanftmut - klar und deutlich hinzu.
Zur den tieferen Fragen der Krimkrise standen der Podiumsdiskussion Rebecca Harms, Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzende der Parlamentarischen Versammlung Euronest (Europa-Nachbarschaft Ost) und Dr. Stefan Meister, Leiter des Robert Bosch-Zentrums für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien zur Verfügung.
Die Moderation hatte Andrea Despot, Direktorin der Europäischen Akademie Berlin, die geschickt und charmant durch die Veranstaltung führte.
Zum Sacharow Preis heißt es im Bericht aus Straßburg: "Der EU-Menschenrechtspreis trägt den Namen des sowjetischen Physikers und Dissidenten Andrej Sacharow. Er arbeitete lange am sowjetischen Kernwaffenprogramm, bevor er sich ab Ende der 1960er Jahre für internationale Abrüstung und eine Demokratisierung der Sowjetunion einsetzte. Für sein Engagement wurde ihm 1975 der Friedensnobelpreis verliehen. Nachdem seine Frau diesen für ihn entgegen genommen hatte, galt der Physiker als Staatsfeind.
Der nach ihm benannte Preis wird seit 1988 jedes Jahr vergeben, um Menschen und Organisationen zu ehren, die in besonderer Weise weltweit Menschenrechte und Grundfreiheiten verteidigen. Er ist mit 50.000 Euro dotiert und wird jedes Jahr in Straßburg verliehen. Vorgänger Oleg Senzows als Preisträger sind unter anderen der frühere südafrikanische ANC-Führer Nelson Mandela und die demokratische Opposition in Venezuela."
Insgesamt umgab die Veranstaltung ein freiheitliches, ein offenes, ein europäisches Flair: Wir können nicht anders, wir bleiben, mit allen Mitteln der Diplomatie, der Hoffnung auf den Fersen.

Berlin, 21.12.2018

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