Vor 60 Jahren begannen die ostdeutschen Behörden mit der Zwangsumsiedlung
an der innerdeutschen Grenze. Familien, die dort seit Generationen lebten,
wurden rücksichtslos aus ihrem Zuhause vertrieben. So verschwanden Orte und
Menschen von der Bildfläche. Axel Reitel erzählt davon in seiner
eindrucksvollen Ursendung „Der Walnussbaum hat nicht gestört“.
Mi 6.6. 22–23 Uhr MDR FIGARO / kulturradio rbb. Regie: Wolfgang
Rindfleisch. Produktion: MDR 2012. Ursendung
Pressetext auf S. 16.
MDR Figaro wiederholt kurzfristig diese Sendung am 10.06.
2012
Vor 60 Jahren: Beginn der Zwangsumsiedlungen an der
innerdeutschen Grenze
„Der Walnussbaum hat nicht gestört“ –
Von der Vernichtung dreier Dörfer an der innerdeutschen
Grenze
Von Axel Reitel
1952 fällt der Ministerrat der DDR den Beschluss zur „Abriegelung
der Grenzen zur Bundesrepublik Deutschland und zu West-Berlin.“ Es ist die
Antwort auf Adenauers „Deutschlandvertrag“, der die Bundesrepublik an die
Westmächte bindet und das widerspricht Walter Ulbrichts Vorstellungen von einem
vereinten Deutschland. Noch im selben Jahr beginnen die Zwangsaussiedlungen „verdächtiger
Elemente“ aus der fünf Kilometer breiten „Sperrzone“ an der 1376 Kilometer
langen „DDR-Staatsgrenze-West“. Tausende Menschen verlieren Angehörige, Heimat,
Haus und Hof. Jede Gegenwehr wird im Keim erstickt. Von Häme zeugt die
handschriftliche Notiz des thüringischen Innenministers Gebhardt. Demnach waren
die Aussiedlungen „… das Ergebnis der Kommissionsarbeit zur Beseitigung des
Ungeziefers“. Diese Randnotiz verursacht den Einzug dieser Aussiedlungsaktionen
unter dem Namen „Ungeziefer“ in den historischen Kontext. Weder offiziell noch inoffiziell
hat es diese Bezeichnung gegeben. Mit
dem Jahr 1961 gehen die Zwangsaussiedlungen im großen Maßstab weiter. 1971. Mit
dem Machtantritt von Honecker sollen nun auch ganze Ortschaften von der Landkarte
an der innerdeutschen Grenze verschwinden. In Südthüringen betrifft dies die
Dörfer Leitenhausen, Billmuthausen und Erlebach. Die Einwohner setzen sich zur
Wehr. Sie kämpfen um ihr „Selbstbestimmungsrecht auf das eigene Territorium“.
Doch der SED-Staat macht dem Bestreben nach Selbstbestimmung einen Strich durch
die Rechnung und reißt die Dörfer ab. 2012. Raimar Sakautzky, Paul Schmidt,
Gerhard Altmann und Gunter Paar erinnern sich als Betroffene an diesen ungleichen
Kampf. Was blieb von den Dörfern? Ein Friedhof, ein Feuerlöschteich und ein
Walnussbaum. „Der durfte stehen bleiben. Der hat nicht gestört“, erzählt Walter
Bauer in Erlebach vor Ort.