Erschienen in Ausgabe: No 100 (06/2014) | Letzte Änderung: 01.06.14 (gestern) |
„Strohblumenzeit ist Winterzeit“
von Axel Reitel
„Achtung! Liebesverhältnis!“ Diesen Stasivermerk las der Rezensent in der Observierungsakte seines Bruders. Die in der DDR verbliebene Verlobte des Bruders hielt auch nach dessen Freikauf an der Beziehung fest. Es folgten der Antrag auf Eheschließung mit anschließendem Wohnsitz in Berlin (West), Karlsbad-Treffen, Schwangerschaft, dann ab dem dritten Monat Totenstille: die Verlobte wurde bearbeitet: dann der tödliche Unfall des Bruders.
Ähnliches geschieht in Dümmels zweitem Roman. Das Ostberliner Schreibtalent Arno K., Jahrgang 1950, rückt wegen seines „Liebesverhältnisses“ mit einer Studentin der FU ins Visier des MfS, das drei Optionen erstellt: a) Zerstörung der Liaison, b) Zerstörung von Freundschaften, c) Verlust der Lebensfreude. Drei Scheren am Lebensfaden eines Menschen, dargestellt in rhythmisch wechselnden Kapiteln: „Gestern“, „Heute“, „Morgen“.
Zum Heute gehört ein Arbeitsleben im Stahlwerk, die immer-müden, disparaten Kollegen, „zerrissen wie das Land und seine Bewohner“. Der Staat verfügte bereits eine Arbeitsplatzbindung im Werk als erste (noch) geringe Strafe, sozusagen zum Nachdenken und Wiedereinlenken. Da ja jedes bereits mit einem negativen Gerüchelchen ruchbare Denken über die DDR vom politischen Geheimdienst der DDR als derart gefährlich eingestuft wurde, dass mit allen Mitteln dagegen vorzugehen war, standen die Alarmsignale schon auf dunkelrot. Mit allen Mitten sollte vor allen Dingen verhindert werden, dass irgendein Skandal an die Öffentlichkeit kommt (während das Immunsystem offener Gesellschaften geradezu Skandale benötigt).
Es ist bekannt, dass, als die DDR ihr Ende ereilte, der Chef der Staatssicherheit, Genral Erich Mielke, die Frage stellte, ob der 17. Juni ausgebrochen sei. Denn jener Volksaufstand aus dem Jahr 1953 saß der DDR bis zum Schluss im Nacken: die Antwort war die gnadenlose Diktatur geblieben. Der Roman „Strohblumenzeit“ leistet hier, wie auch schon Karsten Dümmes Debüt „Nachtstaub“, präzise Feldforschung entlang der blutenden Grasnarben dieser keineswegs kommoden Diktatur, wie unser verehrter Nobelpreisträger Günter Grass weiland im kommoden Westen über einen Fernsehkanal gedachte bestimmen zu müssen.
Dass der Protagonist Arno K. die Folgen der Überwachungsmaßnahmen der Diktatur nicht überlebt, gehört sowohl zur konsequent durchgeführten Romanhandlung als es auch zum Vorteil der Analyse im einhergehenden Subtext gerät. Des weiteren rückt die bewusst an Kafkas Joseph K. angelehnte Romanfigur, wie auch schon im Roman „Schnee“ von Omar Pamuk, etwas entschieden Neues ins Bewusstsein, nämlich die äußerst variablen Mittel dieses in unserer Welt sich immer aufs Neue abspielenden Prozesses der Abspaltung scheinbar nicht konvergenter Lebensweisen: denn Arno K. stirbt eben nicht hingerichtet „wie ein Hund“ (vergleiche das Endes Romans von Kafka), sondern er verlischt, fast tonlos, wie das Rascheln eben von Strohblumen, die also auch nicht von ungefähr den Titel des Romans abgeben.
Mit Sicherheit sind die Strohblumen aber auch Synonym für Arno Ks Welt C [(c]. In der verbergen sich von Karsten Dümmel hochpoetisch geschriebene Erinnerungen einer Kindheit in Mecklenburg, voll geladen mit wunderbarer Geschichte und wunderbaren Geschichten und dies vorgetragen mit einer derart faszinierenden Sprachmagie, die bildlich zu den archaischen Lebensweisen zurückführt. Die vor allem aber auch keiner mehr belangen kann. Das ist natürlich der Trick des Zurückgehens. Der andere, nicht zu Frieden lassende, ist der des beständigen knallharten Sprach-Wechsels in den Spliss des Stasi-Geheimdienstes. Es ist der Spuk, aus dem die DDR bestand, die bekannterweise selbst im Orkus der Weltgeschichte erlosch.
Jedoch mit welchen perfiden Mitteln sich die zweite deutsche Diktatur diese ganzen vierzig Jahre am Leben erhielt, wird schließlich zur Investigation von Arnos K. „Verlobter“, die ihn in Ostberlin so oft es ging besucht hatte, bis sie eines Tages, ohne Erklärung, den Boden der DDR nicht mehr betreten durfte.
Die einstige Studentin Marie-Sophie ist Tochter eines französischen Diplomaten, der im Endeffekt selbst bis auf das Letzte von Stasi-Überwachungen betroffen war. Ihre Fahrt von Avignon zur Behörde der Unterlagen der Staatssicherheit der DDR in Berlin bilden das „Morgen“ im Roman. Jene Zukunft, die bisher noch jeder Diktatur bevorstand, in der es sie dann freilich nicht mehr gab.
Mit den wechselnden Stimmen tagebuchartiger Ist-Zeit, unbeschwerter Kindheit, erfolgreicher Schulzeit, geheimpolizeilicher Ausweitung der Folter und der nach dem Horror bleibenden Entrüstung, gelingt Karsten Dümmel eine neue Sicht auf die Schlacht diktatorisch-eiserner Definitionen gegen das hochpolitische weil eigenermessene Private.
Karsten Dümmel. Strohblumenzeit. Roman. 118 Seiten. Transit. Berlin.
Karsten Dümmel, geboren 1960 in Zwickau, Ausbildung zum Elektromechaniker, Abitur, später Studienverbot. Gründer mehrerer Friedens- und Menschenrechtsgruppen in Gera, Zwangsarbeit als Fensterputzer und Gebäudereiniger, 1985 vorübergehende Inhaftierung, Frühjahr 1988 von der Bundesrepublik freigekauft. Studium der Germanistik und Rhetorik in Tübingen, Promotion. Nach mehreren Forschungsprojekten Arbeit in der Entwicklungshilfe in West- und Ostafrika sowie in Osteuropa. Im : TRANSIT Verlag erschien 2007 »Nachtstaub und Klopfzeichen«.
Quelle: http://www.tabularasamagazin.de/artikel/artikel_5636/ (Stand 02. Juni 2014)