Die
perfekte Show – Das Benefizkonzert mit Wolf Biermann im ehemaligen Zuchthaus
Cottbus am 04.09.2012 19.30 bis 21.30 Uhr
"Hinter
das Gitter kann ich ja nicht!" rief scherzend Wolf Biermann in
das Publikum hinein, das sich zur stehenden Ovation erhoben hatte.
Ein Schauspieler habe einen Vorhang, hinter dem er sich kurz
verbergen könne. Gemeint ist ein breiter Käfigraum mit breitem
Stahlgitter, vor dem Wolf Biermann sein Konzert in der Pentacon-Halle
des ehemaligen Zuchthauses Cottbus gegeben hat. Hier wurden einst
vorwiegend von politischen Gefangenen im Dreischichtsystem
Fotokamerateile im Akkord gestanzt. Das "Gitter"
wurde vom Wachpersonal zur Absonderung sabotierender Strafgefangener
benutzt. Unter den Strafgefangenen kursierte der Ausdruck
"Eisschrank". Vor dem "Gitter" befand sich ein
offenes Abzugsfenster. Vor allem im Winter wurde es da ziemlich
ungemütlich. Gemütlich geht es auch bei
Wolf-Biermann-Konzerten nicht zu, aber ein Konzert soll schließlich
auch aufregend sein - und nicht gemütlich. Das Konzert mit
Wolf Biermann war schlichtweg die perfekte Show. Warum? Wir
erleben auf der Bühne die Songs eines Lebens mit samt der
dazugehörigen Biografie. Es gab einmal einen Slogan, der hieß,
es ist der Sänger, nicht der Song. Biermanns Attitüde ist
größer, sie ist echt. Wenige können auf der Bühne ganz groß
erzählen und einem ihre Lieder ins Ohr schmeicheln. Die
Gitarre bassbetont, mit Zusatzvolumen also, führte die
musikalische Odyssee durch realistische Landschaften, mit unwirklich
scheinenden verrückten Geschichten. Der Exkurs führte durch
die die Städte Berlin, Hamburg, Paris, dann ging es nach
Südfrankreich, am Schluss gar nach Griechenland. Aberwitzige
altbekannte Balladen von betonköpfigen Politgestalten der zweiten
deutschen Diktatur, bissige Westimpressionen, und natürlich die
großen Namen der Literatur wie Arno Lustiger, Mànes Sperber,
Emile Cioran oder auch Jürgen Fuchs, Siegmar Faust, seine
Begegnungen, Gespräche und Grade der Freundschaft mit ihnen. Es war
eine aufregende musikalische Reise. Sicher auch für die
zahlreichen aus allen Orten Deutschlands angereisten ehemaligen
politischen Gefangenen dieses Haftortes. Mancher unter ihnen hatte
Lieder von Wolf Biermann in der Isolationszelle, auf Arrest, gesungen
oder im Haftalltag, auf Schicht, an der Stanze. Man stattete sich so
mit Seelenwärme gegen „Eisschränke“ aus. Das war ja das
Verrückte. Ein Häftling sang an der Stanze laut „Die
Stasiballade“. Ein Zivilmeister hört das. Zivilmeister an
Schließer. Schließer zum Gefangenen. Auch so kam man für eine
Schicht „hinter das Gitter!“. Gefangener: „Eines Tages wird
hier Biermann persönlich erscheinen!“ Schließer: „Klar, als
Strafgefangener!“ Gefangener: “Nee, mit eem Konzert, Alter!“
Schließer lacht hämisch. Und nun sang Wolf Biermann wirklich hier
wie herbeizitiert - und es wurde wirklich viel und herzlich gelacht.
Als Wolf Biermann abends im Dunkel gegen 22. 00 Uhr aus der alten
Stanzhalle mit einer Plastikschale voll weißer Weintrauben in den
Händen trat, nickte er einigen „Ehemaligen“ zu: “
macht‘s gut, ihr Helden!“ Einer rief: „Du [aber] auch!“