[…]
vielleicht
sind wir doch keine Wunderkinder, sondern
sind wir doch keine Wunderkinder, sondern
Arschlöcher,
die eine Taube brauchen, um das
zu
sehen, was sie nicht begreifen."
Franz
Hodjak "Gedicht mit Taube"
Der
neue Gedichtband von Franz Hodjak beginnt mit einem vielsprachigen
Reisenden, dem Autor Franz Hodjak selbst, an einem ihm vertrauten,
doch von Zeit, Gott und den Menschen verlassenen Ort. Dieser Ort ist
ein stillgelegter Bahnhof. Keine Züge kommen mehr an. Keine Züge
fahren mehr ab. Doch wurde der Bahnhof nicht "abgeschlossen".
Und es gibt noch ein Gleis. Und auch noch einen zweiten Gast. Das
Gedicht heißt "Aufgelassener Bahnhof".
Aufgelassener
Bahnhof
Einst
wechselte
ich hier die Sprache
wie
den Zug. Jetzt sprechen da
hin
und wieder Engel
und
Narren. Auf nichts mehr wartend,
werfe
ich die Mütze
ins
gefrorene Kiesbett, zum
Schädel
des Schafbocks, in dem
der
Kiebitz
nistet.
Dieses
Gedicht zerfällt in zwei Teile, die ein spontaner Akt miteinander
verzahnt. Wobei der zweite Teil zum Begreifen des ersten Teils
führt. Der Vogel im Gedicht benennt uns die Zeit, in der der
Reisende den verödeten Bahnhof inspiziert. Kiebitze sind relativ
früh am Brutort anzutreffen, und das ist im März.
Das
Brutareal des Kiebitz reicht von Europa bis in die Türkei, Iran,
Kasachstan, Mongolei, Nordchina und Ostsibirien. Allerdings verweist
das gefrorene Kiesbett auf eine nördlichere Region.
Aber
Vorsicht: oft wird der Norden mit Kälte und Tod assoziiert. Der
Schädel des Schafbocks im gefrorenen Kiesbett dagegen mag genauso
gut auf einen nur vorübergehenden Tod verweisen: denn im Schädel
des Schafbocks brütet der Kiebitz neue Leben aus. Geschlüpfte
Kiebitzjunge sind ab dem 35. Lebenstag vollbefiedert und
flugfähig.
Andererseits ist so ein gefrorenes
Kiesbett eine wirklich nun gewagte Brutstätte
und fungiert in diesem Zusammenhang eher als Bedrohung des Lebens.
Dagegen
die geworfene Mütze als einerseits ethischer Akt des Mitgefühls
(die Mütze als Wärme speicherndes Dach) und andererseits als das
praktizierte philosophische Prinzip Hoffnung, das auch bereits im
Titel des Gedichtes enthalten ist. Denn es kann nur dann einen
aufgelassenen Bahnhof geben, wenn dieser hin und wieder auch einmal
abgeschlossen wurde.
Wenn der Sinn des Abschließens aber im
Abtrennen (vom Leben der anderen) liegt, dann liegt der Sinn des
Auflassens im erwarteten oder im erhofften Fest (des Lebens mit den
anderen).
Beim
Kiebitz handelt sich übrigens um einen Zugvogel, der weit mehr in
der Welt herumkommt, als seine Brutstätte (die zudem immer der Ort
auch der eigenen Geburt ist) verrät. Beginnt der Gedichtband also
mit einer Visite in oder nahe Hermannstadt, Rumänien, dem Geburtsort des Dichters?
Auf
jeden Fall „entführt“ Fanz Hodjak sich in seinen klug inszenierten
Gedichten in eine uns angehende Geschichte. Die Geschichte nämlich
von den Königskindern Ost-und Westeuropa, ein "gefrorenes
Kiesbett" dazwischen.
Das
wird im zweiten Gedicht des Buches sogleich noch um einiges klarer -
spiegelt es doch die "Ausgewanderten" und deren Auswanderungsgrund, "Leben / die nicht mehr zählen", in
den Augen der Zögernden, der vor Ort Gebliebenen, wider, die ihr
Bleiben, ihr "lohnendes Leben", durch Selbstverleugnung
teuer zu bezahlen hatten. Sie trauern nun um die einstige Identität
und verharren doch "in dummer / Geste erstarrt, ratlos,
leer".
Das nächste Tier, im nächsten Gedicht, ist ein
Wal. "Taucht ein Wal auf, halten die Fischer die Zeit an."
Ein beliebter Slogan einst lautete: "Nimm dir Zeit und nicht das
Leben." Der Sinn der Zeit ist die Freiheit. Das Symbol der
Freiheit ist der Wal. Doch ist der Wal auch Sinnbild für Sorgfalt
(Aufzucht der Jungen) und Fleiß (unermüdliches Durchpflügen der
Ozeane). Freiheit ist vor allem also die Freiheit, das Richtige zu
tun - zum Beispiel auch, "daß man sich befreit von all dem, /
was man für Freiheit/ hält". Das Gedicht mündet im
Wunsch nach dem "besinnlichen blaue Montag", der als
befreiender Schuss Selbstironie fungiert.
Im
Gedicht "Mauer" krachen über dem Abgrund einer "Tiefe,
die / nicht zusammenhält", "Die Schutzengel aus Ost und
West" mit unnachgiebigen "Schuldzuweisungen"
aneinander; während im darauffolgenden (in die Schulbücher
gehörende) Sonett "Landgasthof" in Abzählversen volksliedhaft gegänseblümelt wird:
Landgasthof
Von der Wasserratte der Schwanz,
von er Fremde die halbe ganz.
Ein warmes Kissen fürs Kreuz,
ein alter Freund der Mark Deutz.
Etwas weniger Grau in Grau,
etwa mehr Leben im versteckten Bau.
Die Wirtin trinkt den Kaffee schneller,
ich mal schwärzer, mal heller.
Viele wankenden Brücken,
welche meine Vertrautheit kippen.
Im
Campingplatz der Zaun,
durch
den verluderte Damen schaun.
Nachts
die stockdunklen Pfade.
Bleiben oder gehen, das ist die Frage.
Aufgelassener
Bahnhof
Einst
wechselte
ich hier die Sprache
wie
den Zug. Jetzt sprechen da
hin
und wieder Engel
und
Narren. Auf nichts mehr wartend,
werfe
ich die Mütze
ins
gefrorene Kiesbett, zum
Schädel
des Schafbocks, in dem
der
Kiebitz
nistet.
Dieses
Gedicht zerfällt in zwei Teile, die ein spontaner Akt miteinander
verzahnt. Wobei der zweite Teil zum Begreifen des ersten Teils
führt. Der Vogel im Gedicht benennt uns die Zeit, in der der
Reisende den verödeten Bahnhof inspiziert. Kiebitze sind relativ
früh am Brutort anzutreffen, und das ist im März.
Das
Brutareal des Kiebitz reicht von Europa bis in die Türkei, Iran,
Kasachstan, Mongolei, Nordchina und Ostsibirien. Allerdings verweist
das gefrorene Kiesbett auf eine nördlichere Region.
Aber Vorsicht: oft wird der Norden mit Kälte und Tod assoziiert. Der Schädel des Schafbocks im gefrorenen Kiesbett dagegen mag genauso gut auf einen nur vorübergehenden Tod verweisen: denn im Schädel des Schafbocks brütet der Kiebitz neue Leben aus. Geschlüpfte Kiebitzjunge sind ab dem 35. Lebenstag vollbefiedert und flugfähig.
Andererseits ist so ein gefrorenes Kiesbett eine wirklich nun gewagte Brutstätte und fungiert in diesem Zusammenhang eher als Bedrohung des Lebens.
Dagegen
die geworfene Mütze als einerseits ethischer Akt des Mitgefühls
(die Mütze als Wärme speicherndes Dach) und andererseits als das
praktizierte philosophische Prinzip Hoffnung, das auch bereits im
Titel des Gedichtes enthalten ist. Denn es kann nur dann einen
aufgelassenen Bahnhof geben, wenn dieser hin und wieder auch einmal
abgeschlossen wurde.
Wenn der Sinn des Abschließens aber im Abtrennen (vom Leben der anderen) liegt, dann liegt der Sinn des Auflassens im erwarteten oder im erhofften Fest (des Lebens mit den anderen).
Wenn der Sinn des Abschließens aber im Abtrennen (vom Leben der anderen) liegt, dann liegt der Sinn des Auflassens im erwarteten oder im erhofften Fest (des Lebens mit den anderen).
Beim
Kiebitz handelt sich übrigens um einen Zugvogel, der weit mehr in
der Welt herumkommt, als seine Brutstätte (die zudem immer der Ort
auch der eigenen Geburt ist) verrät. Beginnt der Gedichtband also
mit einer Visite in oder nahe Hermannstadt, Rumänien, dem Geburtsort des Dichters?
Auf jeden Fall „entführt“ Fanz Hodjak sich in seinen klug inszenierten Gedichten in eine uns angehende Geschichte. Die Geschichte nämlich von den Königskindern Ost-und Westeuropa, ein "gefrorenes Kiesbett" dazwischen.
Auf jeden Fall „entführt“ Fanz Hodjak sich in seinen klug inszenierten Gedichten in eine uns angehende Geschichte. Die Geschichte nämlich von den Königskindern Ost-und Westeuropa, ein "gefrorenes Kiesbett" dazwischen.
Das
wird im zweiten Gedicht des Buches sogleich noch um einiges klarer -
spiegelt es doch die "Ausgewanderten" und deren Auswanderungsgrund, "Leben / die nicht mehr zählen", in
den Augen der Zögernden, der vor Ort Gebliebenen, wider, die ihr
Bleiben, ihr "lohnendes Leben", durch Selbstverleugnung
teuer zu bezahlen hatten. Sie trauern nun um die einstige Identität
und verharren doch "in dummer / Geste erstarrt, ratlos,
leer".
Das nächste Tier, im nächsten Gedicht, ist ein Wal. "Taucht ein Wal auf, halten die Fischer die Zeit an." Ein beliebter Slogan einst lautete: "Nimm dir Zeit und nicht das Leben." Der Sinn der Zeit ist die Freiheit. Das Symbol der Freiheit ist der Wal. Doch ist der Wal auch Sinnbild für Sorgfalt (Aufzucht der Jungen) und Fleiß (unermüdliches Durchpflügen der Ozeane). Freiheit ist vor allem also die Freiheit, das Richtige zu tun - zum Beispiel auch, "daß man sich befreit von all dem, / was man für Freiheit/ hält". Das Gedicht mündet im Wunsch nach dem "besinnlichen blaue Montag", der als befreiender Schuss Selbstironie fungiert.
Das nächste Tier, im nächsten Gedicht, ist ein Wal. "Taucht ein Wal auf, halten die Fischer die Zeit an." Ein beliebter Slogan einst lautete: "Nimm dir Zeit und nicht das Leben." Der Sinn der Zeit ist die Freiheit. Das Symbol der Freiheit ist der Wal. Doch ist der Wal auch Sinnbild für Sorgfalt (Aufzucht der Jungen) und Fleiß (unermüdliches Durchpflügen der Ozeane). Freiheit ist vor allem also die Freiheit, das Richtige zu tun - zum Beispiel auch, "daß man sich befreit von all dem, / was man für Freiheit/ hält". Das Gedicht mündet im Wunsch nach dem "besinnlichen blaue Montag", der als befreiender Schuss Selbstironie fungiert.
Im
Gedicht "Mauer" krachen über dem Abgrund einer "Tiefe,
die / nicht zusammenhält", "Die Schutzengel aus Ost und
West" mit unnachgiebigen "Schuldzuweisungen"
aneinander; während im darauffolgenden (in die Schulbücher
gehörende) Sonett "Landgasthof" in Abzählversen volksliedhaft gegänseblümelt wird:
Landgasthof
Von der Wasserratte der Schwanz,
von er Fremde die halbe ganz.
Ein warmes Kissen fürs Kreuz,
ein alter Freund der Mark Deutz.
Etwas weniger Grau in Grau,
etwa mehr Leben im versteckten Bau.
Die Wirtin trinkt den Kaffee schneller,
ich mal schwärzer, mal heller.
Viele wankenden Brücken,
welche meine Vertrautheit kippen.
Im
Campingplatz der Zaun,
durch
den verluderte Damen schaun.
Nachts
die stockdunklen Pfade.
Bleiben oder gehen, das ist die Frage.
Bleiben oder gehen, das ist die Frage.
Es gehört für mich zu den schönsten, weil auch Lachen machenden Gedichten in diesem an lyrischen Goldstücken und "Perspektiven" bemerkenswert reichen Buch.
Sei
es die Frage, warum der Menschen nur immer so "heimatlos"
lebt - die Frage, wann eigentlich etwas begann - von "Wunden"
die "rosten" - eine Fremde, in der "auch die Pappeln"
anders zurücksehen" - vom vorbildhaften Charakter
schwadronierender Wildschweine in Städten - "Honigmonat"
und "Viertelmond" - von "zwei Sonnen" - viel
Liebe, die in einem Sommer wohnt - die Unendlichkeit - und wieder der
Kiebitz, der nun als Metapher dient für "das, was zu sagen ist"
- von "Reisenden, die singen": mit jeder neuen Seite
betritt der Leser ungegangene Wege und wird dafür belohnt!
Die Lithografien des Dresdner Malers, Grafiker und Essayisten Hubertus Giebe perfektionieren einerseits die Schönheit dieses bibliophil gestalteten Buches, andererseits erweitern sie den Inhalt zusätzlich um die Dimension der "Bildzeichen [s]eines [des Malers] Welterlebnisses" (W. Haftmann). Und auch dieses "Erlebnis", das "Welterlebnis" des Malers, setzt sich zusammen aus einem Geflecht zahlreicher Erfahrungen. Sei es nachhaltig einschneidende Historie wie der Bombenangriff auf Dresden (Grafik S. 11), sei es das erdrückende Lebensgefühl in der zweiten deutschen Diktatur (Grafiken S. 21 ff.), im hermetischen Ostblock (Grafik S. 49) oder gewonnene wie abgetrotzte Freiheit (Wal-Siege!; Grafik S. 95).
Die hier zu sehenden Dechiffrierungen einer gesichteten Welt "berühren in einem eigentümlichen Zurückkommen auf einen alten Ausgangspunk" (Haftmann) und geben alternative Antworten auf etwa Franz Hodjaks Poem "Was war?", in dem der Dichter fragt:
Wie war es nur, als uns der Zufall spülte
ans Ufer, müde,
hungrig, abgewrackt?
Waren wir Strandgut bloß, war das der Fakt?“
Waren wir Strandgut bloß, war das der Fakt?“
Die letzten drei Zeilen des Gedichtbandes übrigens lauten: