Montag, 23. April 2012

Buchkritik: Ein Spaziergang war es nicht. Kindheiten zwischen Ost und West

MDR-Figaro. Die Sendung ist heute , am Mittwoch, den 25. April 2012, um 09:45 gelaufen. Anna Schädlich und Susanne Schädlich, "Ein Spaziergang war es nicht. Kindheiten zwischen Ost und West", Heyne Verlag 2012.
Sendung: 25.04.2012. MDR-Bücherjournal.

Hier das Manuskript der Sendung:




Anna Schädlich und Susanne Schädlich: Ein Spaziergang war es nicht. Kindheiten zwischen Ost und West. Heyne Verlag, 322 Seiten, mit s/w-Fotos, € 19.90, CHF 28, 50.  


O-Ton Rezensent:
„Die Kunde ihres Unglücks weckt mein Mitleid, König!“ mahnt der Chorführer in Euripides „ Kinder des Herakles“. Mitleid ist das Thema aber nicht, das die Töchter des Schriftstellers Hans-Joachim Schädlich in ihrer großartigen Anthologie, „Ein Spaziergang war es nicht“,  Kindheiten zwischen Ost und West, amalgieren. Zahlreiche Künstler, Wissenschaftler und Autoren  verließen in den ‘70er und ‘80er Jahren mit ihren Familien die DDR und Richtung  Bundesrepublik. Es geht um die  Repressalien der ideologischen Klaviatur. Nur die  Kinder wurden nicht gefragt. Aber wäre das überhaupt möglich gewesen? Ein Gutteil der Texte verweist auf Geschicklichkeit, Phantasie und Mut, die ein Kind in scheinbar ausweglosen Situationen entwickelt. Insgesamt gelingt den Texten der längst erwachsenen Frauen und Männer eine hochbrisante Widergabe einer Kindheit zwischen zwei Welten. 

O-Ton Herausgeber (Anna Schädlich):
Beide Generationen, die wir in der Anthologie versammelt haben, sind doppelt geprägt. Es handelt sich einmal um die gelebte Erinnerung, zum anderen um die erzählte Erinnerung. Susanne, meine Schwester, war damals zwölf Jahre alt, ich war damals vier Jahre alt. Wir haben ganz unterschiedliche Erfahrungen. Das war uns wichtig, dass eben endlich die Kinder der sogenannten Prominenten zu Wort kommen, denn zuvor haben immer nur sie die Bühne betreten, und jetzt war es uns wichtig, dass die Kinder zu Wort kommen – und dadurch ist auch eine große Vielfalt entstanden.

O-Ton Rezensent:
Es sind die Kinder von Dewath- Rachowski,  Franck, Gunardano, Havemann-Biermann, Honigmann, Kirsch, Klier, Krawczyk, Kunert, Langhoff, Pawlow, Schädlich, Schleime, Schlesinger, Schönemann und Schollak. Sie leben mit den Biographien der Eltern und nehmen Anlauf zur eigenen Identität.  Ereignisreiche,  unerhörte Vorgänge bilden die Hürden.  Zudem fällt der Hammer. Man muß weg. Es kommen die bohrenden die Fragen. Warum muß ich weg? Was wird aus Oma und Opa? Was aus  meinen Freunden? Was man liebt und  verlassen muß, zerreißt. Als einer zerrissenen Generation zugehörig sehen auch die Herausgeberinnen den versammelten Chor dieser Anthologie.

O-Ton Herausgeber (Susanne Schädlich):
Also, wenn man von Riß oder zerrissen spricht, denke  ich, dass es sich da um mehrere Ebenen  handelt. Einerseits zunächst der Riß im Herzen. Man mußte sich praktisch als Kind damals das Gewohnte herausreißen und natürlich auch die gewohnte Umgebung, ja. Als man dann im Westen war, war nicht nur der Riß im Herzen Ausdruck, sondern irgendwann kam zum Ausdruck, dass man sich innerlich zerrissen fühlte, zwischen zwei Welten – nämlich dem, was zurückgeblieben war und dem, in dem man jetzt sich wiederfand. Und ich glaube, dass diese Zerrissenheit den Zustand Deutschlands heute noch spiegelt. 

O-Ton Rezensent:
Dieser Riß zieht sich durch das gesamte Buch. Er ist quasi der Motor der vorliegenden Texte  und die gemeinsame  Mitte.  Die Freiheit der Erwachsenen ist nicht gleich die Freiheit der Heranwachsenden. Jeder hat seine eigene  Betroffenheit.  Wird die „Ausreise“  am Ende auch positiv bewertet, teils als das Beste, was geschehen konnte, fällt die Ankunft im Westen auch „schwer“. 

O-Ton Herausgeber (Susanne Schädlich):
Als diejenigen, die wir von der DDR in die Bundesrepublik kamen, war’s eben doch nicht so. Man kam von Deutschland nach Deutschland. In das, was man kam, das war fremd, und das war vor allem darauf zurückzuführen, dass unterschiedliche Sozialisierungen stattgefunden hatten. Im Grunde kann man das tatsächlich darauf reduzieren, dass es kein Spaziergang war, von Deutschland nach Deutschland zu kommen.

O-Ton Rezensent:
Verjagte sind die Kinder des Herakles. Am Ende steht die Freiheit. Die vorliegenden Texte sind originär erzählte Auseinandersetzungen im Umgang mit dem Unvorhergesehen sowie einer neuen Freiheit, die erst noch zu knacken ist - und wohl des Prädikates „besonders wertvoll“ wert.


Offener Brief: An den Geschäftsführer Lars Kleba, Die Linke Sachsen, und Protestschreiben des P.E.N. Zentrums deutschsprachiger Autoren gegen die Willkürmaßnahme des Oberbürgermeisters von Reichenbach (Vogtland), Henry Ruß

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