Donnerstag, 5. Juni 2014

Buchkritik: Das Gedicht als "Rechtsraum des Aufstandes" oder Schwierigkeiten des postmodernen politischen Gedichtes

05. Juni 14 , 20:30

Das Gedicht als "Rechtsraum des Aufstandes" oder Schwierigkeiten des postmodernen politischen Gedichtes

Kategorie: Kultur, Bücher 





Berlin, Deutschland (Weltexpress). Der Postmoderne gilt als radikale Abrechnung mit der vorausgegangenen Moderne, der reiner Automatismus und auf der gesellschaftlichen Ebene gar Despotismus vorgeworfen wurde. Nachweisen lässt sich der Begriff bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Blütezeit Georg Herweghs, Ferdinand Freiligraths, Heinrich Heines. Dass das Neue das Alte überbieten will, liegt in der Natur der Sache.

© Lyrik Edition 2000
Der aktuell wirkenden Postmoderne wird ihre 

Beliebigkeit zu wichtigen Fragen in Kultur und 

Gesellschaft zur Last gelegt, die zudem seit den 2000ern ein Epigonentum in alle 

Richtungen vorführe und sich hinter wissenschaftlichen Idiomen wie Intertextualität 

(„Axolotl-Roadkill“) verschanze. Neu ist wohl die Melange aus Sarkasmus, Ironie und 

künstlicher Betroffenheit. "Trauriger Radikalismus" macht auch die Runde.

Damit hat das zu rezensierende Buch zwar wenig zu tun, doch zumindest den Vorwurf des 

Epigonentums muss sich auch das Langgedicht "Kampfansage" von Boris Preckwitz gefallen 

lassen. Denn vor dem Leser erhebt sich ein Mega-Textkörper in Wladimir Majakowskis 

Jacke. Und von Majakowski lieh sich Preckwitz Form und Standpunkt.

Auch mir
            wächst die Agitpropkunst
                                                 zum Hals heraus,
                                                                        auch ich
                                                                                     schriebe
Goldschnitt und Fliederstrauß -
                                             Doch ich
                                                         bezwang mich,
                                                                              trat
bebenden Hauchs
                         dem eigenen Lied
                                                   auf die Kehle.
                                                               
(Jürgen Rühle, Revolution und Literatur, S. 49)

Majakowski sang den Staat (UDSSR), Führer (Lenin), die Partei (KPdSU) und den 

Kommunismus an, er war stolz auf seine „parteigetreuen Bücher“(Rühle, S. 50).

Inhaltlich versucht Preckwitz in seinem postmoderner Hymnus "Kampfansage" zwar genau 

das Gegenteil und wütet gegen den ihn betreffenden Staat wie gegen das ihn betreffende 

Europa, doch erstarrt,- eben anders als bei Majakowski - sein Gedicht, wie auch schon 

von Burkhard Müller in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 29. Januar 2013 kritisiert, in 

einem bloßen Gewimmel von Substantiven.

Zitat:

„Der Staat
              steckt nicht in der Krise
                                                der Staat ist die Krise.
So auch ist: die Krise System
                                          Und also: System das Feindesland.
Denn: Kapitalismus ist Krieg,
                                         der an Verarmenden verübt wird.
"

Preckwitz rät folgend mit Lenin und Thoreau:

Was tun?
            Laß dein Leben
                                  der Reibstoff sein,
der die Maschine zum Stehen bringt.

(Preckwitz, S. 27)

Die Postmoderne greift auf ihre Meister zurück und schießt mit Vorwürfe wie am 

Stammtisch (inklusive Wortungetüme wie "Wahlmonegassen"): gegen die Bundesrepublik 

("der Staat ist die Krise") oder Griechenland („Fäkalistan“) und all die Staatsdiener ("das 

große Geprasse“) und ganz beiläufig werden als Gegenmaßnahme "Leninisten mit Knarren" 

(sic) heraufbeschworen. Doch weist der Autor Wege wirklich aus der Misere? Eigentlich 

nicht. Muss er auch nicht.

Dafür schrappt Preckwitz hart am Ultranationalismus vorbei, wenn es heißt "Nicht Staat 

ist mir Heimat, / Heimat ist mir mein Land, /.../ Deutschland /.../ : Heimstatt / : 

Herzland." Simpler, abseits  des künstlerischen Anspruchs, heißt das bei 

Rechtsextremen:"Ich hasse den Staat, / aber ich liebe mein Land".

Auch der "Rechtsraum des Aufstandes" im Gedicht "Euroskepsis" anerkennt nichts, was der 

Europäischen Union („Brüsseler Byzantinismus“) zu Gute gehalten werden könnte, 

stattdessen "im luftschloß zu brüssel" der "zwangsstaat", wo die "kader ... schmarotzen".

Dennoch: Preckwitz lässt Dampf ab, das ist sein Recht, dabei schaut er dem sogenannten 

Wutbürger aufs Maul und versammelt und collagiert dessen Vorwürfe auf dem 

uneinnehmbaren Platz des Gedichts.

Da wird, wie Burkhard Müller bemerkt, ein "bestimmter Menschen-, Sprach- und 

Landschaftstyp" geliebt, "ohne die Pflichten eines Staatsbürgers anerkennen zu wollen". 

Und er fragt ganz richtig: "Geht das überhaupt, und wäre es zu wünschen?"

Verbunden mit dieser Frage wäre Preckwitz' schmaler Band zumindest als neuer Zündstoff 

für die sich etablierenden Montagsdemos eine interessante Überlegung. Von Juni bis 

November 2014 ist Boris Preckwitz Stadtschreiber von Dresden.

* * *
Boris Preckwitz. Kampfansage. Gedichte und Essays. 71 Seiten. Lyrik Edition 2000. Herausgegeben von Florian Voß.

Von: Axel Reitel

Quelle: http://www.weltexpress.de/ (Stand 06.06.2014)

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