Samstag, 23. November 2013

Ausstellungskritik: In der Fasanenstraße...die Galerie RAAB stellt Werke aus von Martin Krammer

Die gute Kritik: In der Fasanenstraße...die Galerie RAAB stellt Werke aus von Martin Krammer



Zur Galerie im Web: http://raab-galerie.de/


- und hier ein Spruch von Ringelnatz -, sagt Katja: :
"sicher ist, dass nichts sicher ist, selbst das nicht"


Nur der bildende Künstler sieht kausal. Das habe ich mal geschrieben. Wo?
In der Fasanenstraße, in der Fasanenstraße ... genau, da wohnten Heinrich Mann (Nummer 61) und Asta Nielsen (Nummer 69), da gab es die Galerie "Bremer" mit dem Tresen von Hans Scharoun. Die Straße misst 2 Kilometer, reicht vom Charlottenburger Tor bis zum Hohenzollerndamm und es gibt sie seit 1901. Meine Zeit, wo fliegste hin! Der Rezensent wohnte im schönen Novellensommer 1986 im Haus Nummer 42 bei der lieben Familie Clauß zur studentischen Untermiete. Studentischer Hilfsjob an der Schaubühne (Otto Sander, Corinna Schwarz, Udo Samel und all die anderen berühmten Rampen-Strategen), mit Ausleihe an das Theater des Westens, der Bühnentechniker also als Großstadtlegionär (Cabaret mit Hilde Knef, Hellen Schneider and more nice Celebs). 

Das Quasimodo war der angesagte Club. Tagsüber Studium der Kunstgeschichte an der TU (ooch Philosophie). - Im Kempinski sinniere ich heutzutage hin und wieder mit Dr. H. S. bei einer Zigarre über Kunst, Gesellschaft und Geschichte. Manchmal gehe ich ins saugute Restaurant „Esswein“. Beim Literaturhaus bleibe ich stehen und grüß kurz den Leiter des Hauses und Lyriker Ernest Wichner (es ist doch einfach schön, wenn alte Bekannte schon vor einem am Ort sind), dann rüber zur Galerie RAAB, zur neuen Vernissage. 

Die Galerie kenne ich an ihren verschiedenen Standorten seit 1996, der Anlass eine fulminante Ausstellung mit Werken von Giebe. Das war noch in der Potsdamer Straße. Seit den 2000ern Umzug ins Souterrain vom Kleihues-Solitär, da ging's viele Treppen runter, der Fußoden war grau und es war wirklich zu dunkel. Ganz anders der neue Standort, die Türschwelle auf Augenhöhe mit dem Bürgersteig. Drei Räume, ein schmaler, schmaler Handtuchgang, auch Ausstellungsraum, dazwischen. Martin Krammer heißt der jüngst ausgestellte und anwesende Künstler, ein Endvierziger, Lockenkopf, super schlank und jung gebliebene Erscheinung. Matura (sic) 83, Architektur-Diplom TU Wien 94, dann selbstständig. Seither Möbeldesign, Möbelbau, Modellbau, Prototypenbau. Lehrtätigkeit an der HTL Mödling im Fach Holztechnik. Seit 1994 auch Quereinstieg bei der Bildenden Kunst, Holz bleibt jedoch sein Elixier. Erster Blick auf die Exponate, erster Gedanke: da hat einer, der Krammer, einen ganz eigenen Stil. Ich bleibe einige Zeit, radel aber einige Tage später nochmal zur Galerie, der Ruhe wegen, keine anderen Besucher da, die Blick und Gedanken absorbieren.

Ich setze mich also und konzentriere mich. ..."plock!"...eine Skulptur fällt um, obwohl sie gerade noch stand... und jetzt  bäumt sie sich von selbst wieder auf. Ein König ist's, mit goldner Kron', sein Leben hängt an einem Faden. Eine mechanische Seilwinde lässt ihn aufstehen, fallen, wieder aufstehen, wieder fallen. All of old. Nothing else ever. Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better heißt das bei Beckett (1983). Und Der kleine König willst du wohl sein, mit Klingelingeling und Scheiß am Bein, dein Reich ist nicht von dieser Welt, dort, wo der Regen nach oben fällt, da ist dein Land -bei Biermann.(1982). Und dann fallen mir schon die vielen Köpfe auf, die herumstehen wie von selbst hereingerollt - merkwürdig verrenkt, Gesichter von Bauern, allen fehlt das Kinn, ein Gesinde mit ausgesperrter Zukunft, der verwunschen' Blick nach oben. 

Nur einer lacht. Feist, ganz Ich-Welt, kräftige Zahnleisten zeigend, sattes Kinn, anachronistischer Schick - und obenauf. Das ist der, der gerade wieder in aller Munde ist, weil verboten werden soll die Welt von Johnny Porno. Davon hat er wohl noch nichts gehört oder hält es, wie alles in der Welt, nur für Geschwätz. Vielleicht will er doch - genaueres wissen? Natürlich will er nicht. 

Damit schweift auch mein Blick weiter: eindringlich ein Rahmen, vom unteren Rand bis zur Bildmitte ein adoleszenter Kopf, auch hier die ungewisse Zukunft, in die Breite gezogener, eingeschnittener Mund. Hier gibt es für den Betrachter nichts zu „vernünfteln“ - das verschmierte Rot auf den Lippen scheint in der Blässe weniger aggressiv, aber nach einer heilen Zukunft a priori sieht das auch nicht aus. 

Von der Wand gegenüber schaut das schöne Paar, Rubens' Junger Herr und Da Vincis Dame mit Hermelin, das Krammer auf einer mehrschichtigen dunkelbraunen Holzplatte verbandelt hat, auf eine Zukunft, die es sich nicht ausgerechnet hat, da sich nämlich scheinbar gar nichts geändert zu haben scheint – dieselben Ängste, dieselben aussichtslosen Hoffnungen, Dieselben wieder oben, dasselbe Mühen, dasselbe Fallen. Auch der junge Herr, der im grün-braun-rotbraunen Bild daneben auf Stümpfe abgeholzter Bäume starrt, weist auf Altes, Übernommenes, nie Abgelegtes, mit sich Herumgeschlepptes, letztlich wie Verhextes.

Mich zieht es in den zweiten Raum. Im schmalen Handtuchgang ein Lächeln, kein von Krammer in Holz geschnittenes, weil mein eigenes bei der Betrachtung des Bildes Der Glücksfisch. Die Bartenden des Welses berühren die Oberlippe eines Passanten. Das ist sofort mein Favorit. Da fehlt völlig das Böse. Obwohl ein Mensch mit einem Fisch – will sagen Welskopf,  ja auch nicht das Gelbe sein kann vom Ei, oder? 

Ein Blick nochmal zur Dame aber verrät mir - das Krammers Schule Ironie heißt. Allen Exponaten fehlt mit Absicht jeglicher Hauch von Erhabenheit. Sie sind der blanke Anti-Kult. Merke: Anbetung verboten! Meine liebe Anarchie, bleib locker! Das Glück kann dich kurz kitzeln. Bleiben muss nix. Auch die Nationalmannschaft, im Eingangsraum, herrlich krammeresk zerknittert, zittert sich an allen überhöhten Erwartungshaltungen vorbei.

Auf das wir glücklich sind!            

PS: Die Exponate wechselten inzwischen die Räume, Dame und Herr und Johnny gleich im Eingangsbereich, nichts eben im Leben ist "total" gewiss ... . (nur was du erwirbst, läuft dir nie mehr weg, oder?) 

Vielen Dank und bleiben Sie dran!

Mittwoch, 13. November 2013

Veranstaltungskritik: Alfred-Döblin-Stipendiaten in Lesung und Gespräch, am 12. November 2013, in der AdK, am Pariser Platz 4, 20.00 Uhr



Alfred-Döblin-Stipendiaten in Lesung und Gespräch, am 12. November 2013, 20 Uhr

Eine leicht gekürzte Fassung  wurde von Tabula Rasa Zeitschrift für Gesellschaft und Kultur geschaltet:
http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_5121/


Akademie der Künste am Pariser Platz, Terasse, 
Kleiner Saal 4.Etage
Foto rp-online 


Da war ich also gestern. Gewissermaßen als Alumnus. Die Akademie der Künste lud für den gestrigen Abend aktuelle und ehemalige Döblin-Stipendiaten in den kleinen Saal im vierten Stock am Pariser Platz 4. Die Stuhlreihen bieten etwa einhundert Gästen Platz und sind restlos besetzt. Auf dem Podium stellen Luise Boege, Ricoh Gerbl, Boris Preckwitz und Ellen Wesemüller ihre 2012 im von Günter Grass gestifteten Alfred-Döblin-Haus in Wewelsfleth entstandenen Texte vor. In Luise Boeges französisch betiteltem Text, den weder sie noch der gut aufgelegte Moderator Jörg Feßmann eindeutig übersetzen kann, stattet ein „öffentlicher Körper“ in der Beschreibung eines Kapuze tragenden Streuners, der nichts kafkaeskes oder browneskes hat, dafür aber viel von einem verzweifelten Dealer oder Prostituierten, der Erzählerin einen Besuch ab. Das heißt, eigentlich will er zum abwesenden Mitbewohner Dimitri, aber der ist nicht da. Den Dimitri, so stellt es Frau Boege im anschließenden Gespräch dar, hätte sie sich aus Dostojewskijs "Dämonen" ausgeliehen, weil sie das Buch gerade gelesen hatte und „auch so was schreiben“ wollte. Merke: Solcher Wille ist des Autors bittre Pille! Dass Frau Boege, jung an Jahren, geschickt ihren Text zu drehen und zu wenden vermag und ganze Szenen neu zu ordnen weiß, was sie womöglich bei Lynch beobachtet haben mag, täuscht nicht darüber hinweg, dass ihr ein eigenes Thema, ein eigenes nachvollziehbares Interesse an irgend einer nachvollziehbaren Ungerechtigkeit in dieser Welt, noch fehlt. Obwohl der „Öffentliche Körper“, etwas kafkaesker, etwas brownesker, diese Rolle mit Bravour stemmen könnte. Der Blick des Zuhörers vom Kleinen Saal rüber zur gläsernen goldlichtig illuminierten  Reichstagskuppel wäre in Bezug auf Boeges "Öffentlichen Körper" vielleicht noch zu erwähnen. Und dass der Rezensent davon überzeugt, dass Frau Boege diese Hürde auch wirklich noch überwindet. Sie liest mit sicherer Stimme und zeigte sich schlagfertig gegenüber Moderator Feßmann.



Das Döblin-Haus in Wewelsfleth
Foto: Adk/Archiv


Vor der genannten Hürde steht nach Ansicht des Rezensenten auch noch Ricoh Gerbl, die von der Bildenden Kunst, zu der sie „über eine Lüge“ gekommen sei, was sie an anderer Stelle einmal äußerte, zur schönen Literatur spagatierte. Ihre, aus vielen Textpassagen, Textschnipseln und Alltagsreflexionen und der Darstellung eines Kopfkinos während einer Selbstbefriedigung bestehenden Textproben, aus ihrem Romanprojekt „Miriam Wolf – Eine Anpassung“, sind zwar ebenfalls gut geschrieben und mit Verve montiert, doch ob da auch ein Roman dabei heraus kommt, wurde nicht ersichtlich. Warum nicht? Vielleicht gerade deshalb, weil sich eine tiefere (gesellschaftliche) Wahrheit in den ausgewählten Szenen einfach nicht ausmachen lässt. Ohne diese Tiefe aber kann zwar Roman drauf stehen, aber es muss noch lange kein Roman drin sein. Dies als Anregung für den weiteren Hürdenlauf, der nun einmal sein muss. Der Rezensent mag Frau Gerbl im Ziel einlaufen sehen. Nun Boris Preckwitz und Ellen Wesemüller. Ellen Wesemüller las zuletzt, der Rezensent zieht sie hier im Text vor. Ellen Wesmüller war ihm  die liebste. Ellen Wesemüller ist wohl die erste, die ihren Döblin – Aufenthalt dazu nutzte, das erlebte Leben oder die „wirkliche Wirklichkeit“ jener drei Monate in Wewelsfleth in scharf geschnittener feuilletonistischer Manier festzuhalten. Der Rezensent findet, dass Ellen Wesemüller dazu ein wunderbares Talent hat. Die auftretenden und ja in wirklich in W. lebenden Protagonisten_innen gehen einem ans Herz und der Rezensent hätte Frau Wesemüller gern noch eine Stunde zugehört und länger. Das liegt auch daran, weil ersichtlich wurde, dass sich in W. seit zwanzig Jahren weder an der nordischen selbstbestimmten Höflichkeiten noch an der nachgiebigen Bockigkeit etwas geändert hat. Und das gefällt er Ewigkeit - und für die schreiben ja alle. Auch gefallen haben dem Rezensenten Frau Wesemülles Beobachtungsgabe und ihr Händchen für Verknappung - wann es mit dem Gesagten eben gut ist. Alles präzise und unglaublich charmant. Das Buch bitte schnell auf den Tisch! Nun also Boris Preckwitz, über dessen vorgestellten vier Kapitel aus einem politischen Langgedicht (erschienen in der Münchner Lyrikedition 2000, anwesend der Herausgeber Florian Voß), es einiges zu sagen gibt. Erstens: das politische Gedicht fristete in Deutschland seit der Wiedervereinigung ein Altersdasein in Antiquariaten. Warum das so war, mag an den erst jetzt einsetzenden Wirkungen der Teilung liegen. Die sich über die letzten zwei Dekaden erstreckenden Versuche einer Rückeroberung des gemeinsamen deutschen Nationalgefühls auf kultureller Ebene, verurteilten das politische Gedicht zur Lebensunfähigkeit. Von Walter von Vogelweide bis zum moderneren Dreigestirn Wecker-Biermann-Wader gehörten das artifizielle politische Gedicht - und Liedgut fest zu unserer deutschen Kultur. Als Deutschland 1990 endlich am Ziel seines Traumes eines einheitlichen Staates angelangt war, verschwand diese Tradition im Keller. Nun zeigen, ein Vierteljahrhundert nach der Einigung, die vierzig Jahre Trennung plötzlich ihre Wirkung: der größte Verlust, den Politiker wie Carlo Schmid am meisten fürchteten, tritt zutage: der Verlust des gemeinsamen Nationalgefühls – und mehr noch: das schwindende Interesse für den eigenen Kontinent Europa. Überhaupt überall Interpolationen, die Boris Preckwitz, in der späten Nachfolge von Georg Herwegh vielleicht, zum hoch-aktuellen poetischen Appellplatz schleift. Merke: Bitten politisch verboten!
In seinem kraftvollen Poem „Der schlimmste Feind“ schreibt Herwegh:
[...]
Dies Volk, das im gemeinen Kitzel
Der Macht das neue Heil erblickt
Und als 'Erzieher' seine Spitzel
Dem unterjochten 'Brüdern' schickt.
[...]“

Wer sind heute die Brüder und Schwestern in der heutigen Europäische Union und was ist mit ihnen los? Wie greifen die Zeitschriften die Wahrheit auf? Wie geht es hinter den geschlossen Türen der Industrie- und Machtzentralen zu? Türen öffnen scheint die Herausforderung für Wissenschaften und Künste zu bleiben. Boris Preckwitz hat das gestern Abend eindrucksvoll zelebriert. Und in diesem Punkt ziehen schließlich auch seine Mitstreiterinnen Luise Boege und Ricoh Gerbl mit. Ellen Wesemüller aber bleibt dem Rezensenten die liebste. Und Jörg Feßmann ist ein fescher, sich auf angenehme Weise nicht in den Vordergrund drängender Moderator. 
Der Abend - von moderater Kontur. 

Berlin, 13. November 2013                                                                     Axel Reitel 

Vielen Dank und bleiben Sie dran!

Sonntag, 10. November 2013

Golden Mugge Vol. 12 Die Ego-Polizei - Musik-Demo für das Musical in Progress JODIE


Meine Mucke Vol. 12 Die Ego-Polizei - Musik-Demo für das Musical in Progress JODIE






Seit einigen Jahren arbeite ich mit den Musikern der konzeptionellen Begleitband collegium novum an der Fertigstellung der Songs für das Musical JODIE. Diese Aufnahme hier ist ein etwas mit Chorus und Kompressor bearbeitetes One-Take-Demo, bei dem in alter Manier Gitarre gespielt und dazu gesungen wurde.

Natürlich sollte auch der Humor nicht zu kurz gekommen - man achte also auf den Text.
Ein Lied für unsere Zeit - so schauts halt aus! Da fällt mir der Münchner im Himmel (s.o.) wieder ein: Himmiherrgottsakramentfixelujamarscheißklumpvareckts (aus dem spontanen Gedächtnis)

Die Ego-Polizei:
Idee, Komposition und Text: Axel Reitel - also git, voc, mix.

Copyright by Axel Reitel

Hier entlang geht zur Videofassung: http://www.youtube.com/watch?v=GelOjlwhWek

Vielen Dank und bleiben Sie dran!

Samstag, 9. November 2013

Nacht der Schande: die Pogromnacht vom 9. November 1938

 November 2013 | Von AFP

Pogromnacht vom 9. November 1938: Zentral koordinierter Gewaltexzess gegen Juden






Die Pogromnacht des 9. November 1938 zählt zu den Schlüsseldaten der deutschen Geschichte. Wenige historische Ereignisse sind so genau dokumentiert und erforscht worden wie die Angriffe von Nazi-Schlägertrupps und normalen Bürgern auf die deutschen Juden. Eine derartige, mittelalterlich anmutende Gewaltorgie hatten die Opfer, aber auch viele Deutsche und ausländische Beobachter bis dato für unmöglich gehalten.


Die Kristallnacht vom 9. November 1938 (© dpa Picture alliance)
Weiter
Zurück
dpa Picture allianceZEIGE THUMBNAILS
1 von 9
In Berlin brannten in der Kristallnacht viele Synagogen.
---
Bei den Novemberpogromen wurden in Deutschland, Österreich und den von Deutschland besetzten Teilen Tschechiens mehr als 1400 teils jahrhundertealte Synagogen zerstört, viele wurden in Brand gesetzt. Zudem wurden rund 7500 jüdische Geschäfte und Wohnungen geplündert oder verwüstet. In vielen Städten wurden Juden auf Straßen gezerrt und gedemütigt.
Etwa 90 Menschen tötete der Mob, hunderte weitere Opfer starben in Konzentrationslagern. Denn parallel zu dem Pogrom hatten die Behörden eine großangelegte Verhaftungswelle gestartet, die sich gegen rund 30.000 Menschen richtete. Vor allem vermögende Juden sollten terrorisiert und zur Auswanderung und Abtretung ihres Besitzes genötigt werden.
Zentral koordinierte Gewalt
Bis weit in die Nachkriegszeit hinein wurden die Ereignisse auch als "Reichskristallnacht" bezeichnet. Der verharmlosende Ausdruck bezieht sich wohl auf die vielen Fensterglasscherben, die nach den Übergriffen auf den Straßen lagen. Woher er genau stammt, lässt sich Historikern zufolge aber nicht mehr klären.
Die Nazi-Führung versuchte, die Pogrome als spontanen Ausdruck sogenannten Volkszorns gegen Juden darzustellen. Tatsächlich war der Zerstörungs- und Raubzug zentral koordiniert und fiel in eine Zeit eskalierender Hetze gegen die Juden. Längerfristig geplant war er nach heutigem Kenntnisstand allerdings nicht.
Auslöser war Attentat in Paris
Konkreter Auslöser war das Attentat auf einen deutschen Diplomaten in Paris, das von einem Juden verübt worden war. Nach Bekanntwerden des Todes des Opfers gab Propagandaminister Joseph Goebbels während einer NS-Parteiveranstaltung am Abend des 9. Novembers in München die Losung aus, die Partei würde "spontane" Protestaktionen nicht behindern, wenn es sie denn gäbe.
Die dort versammelten Führer der NS-Schlägertruppe SA und anderer Gruppierungen deuteten dies als Aufforderung zum Losschlagen und gaben per Telefon entsprechende Befehle durch. Überall im Land machten sich Angehörige von SA, Partei und Hitlerjugend auf den Weg. Vielerorts beteiligten sich auch ganz normale Bürger. Die NS-Polizeiführung steuerte das Geschehen mit "Richtlinien" aus Berlin. Sie legte unter anderem fest, dass keine Ausländer und Nicht-Juden attackiert werden durften.
Wendepunkt in der antijüdischen NS-Politik
Historisch gilt die Pogromnacht als zentraler Wendepunkt in der antijüdischen Politik des NS-Regimes. Den Opfern machte sie auf traumatische Weise klar, dass sie in ihrem eigenen Land endgültig zu Freiwild geworden waren und von ihren Mitbürgern keinen Schutz erwarten konnten.
Die NS-Führung leitete aus den Gewaltaktionen ihre eigenen Schlüsse ab. Propagandistisch waren sie kein bahnbrechender Erfolg. Wie aus Spitzel- und Lageberichten der Partei und der Polizei hervorgeht, kritisierten viele Deutsche die Methoden der Nazi-Schläger als unzivilisiert.
Sorge um Ansehen Deutschlands
Derartige Äußerungen fielen in aller Regel nicht aus Mitgefühl mit den Juden, sondern aus Sorge vor dem Ansehen Deutschlands und anderen eigennützigen Motiven. Für die stets sensibel auf die öffentliche Meinung reagierende Nazi-Spitze war das Warnzeichen genug: Goebbels gab in seinen Zensuranweisungen an die Presse schon am 10. November an, Berichte über die Ereignisse "nicht allzu groß" aufzumachen.
In der Folge änderte sich die Strategie der Judenverfolgung, während sie sich zugleich massiv verschärfte: Nach den Pogromen übernahmen die antisemitischen radikalen Vordenker in SS und Reichsbehörden das Ruder und trieben die Ausplünderung und Entrechtung der Juden systematisch voran - ohne Aufsehen erregende öffentliche Gewaltausbrüche, aber mit jener bürokratischen Präzision eines staatlichen Terrorapparats, die schließlich bis hinein in die Gaskammern der Vernichtungslager führen sollte.

Offener Brief: An den Geschäftsführer Lars Kleba, Die Linke Sachsen, und Protestschreiben des P.E.N. Zentrums deutschsprachiger Autoren gegen die Willkürmaßnahme des Oberbürgermeisters von Reichenbach (Vogtland), Henry Ruß

Die Linke Sachsen Lars Kleba Cottaer Str. 6c 01159 Dresden Tel.: 0351 85327-0 Fax: 0351 85327-20 kontakt@dielinke-sachsen.de Sehr geehrter H...