Radio-Reportage: WER WAR SIEGFRIED HEINRICHS?
Ein Portrait des Berliner Verlegers und Lyrikers
von Axel Reitel (Produktion RBB 2012)
ca. 30 Minuten
Bei Youtube anzuhören, herunterzuladen und zu teilen:
http://youtu.be/vog6JSEAXoE
Der Sendetext befindet sich auch in meinem neuen Buch Nachtzensur
Zum Verlag:
https://www.verlag-koester.de/index.php?id=114&tx_fbmagento[shop][route]=catalog&tx_fbmagento[shop][controller]=product&tx_fbmagento[shop][action]=view&tx_fbmagento[shop][id]=1161&tx_fbmagento[shop][s]=nachtzensur-ddr-und-osteuropa-zwischen-revolte-und-reaktorkatastrophe
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Siegfried Heinrichs (links), Utz Rachowski (links)
Foto Horch und Guck
Über Siegfried Heinichs in DER TAGESSPIEGEL:
>>In des Waldes finstern Gründen und in Höhlen tief versteckt, ruht der Räuber allerkühnster, bis ihn seine Rosa weckt …“ Er war der Mann des Tages, ach was der Saison, wenn nicht des Jahrhunderts, Christian August Vulpius. Die Damen beteten ihn an, den edlen Räuber Rinaldo Rinaldini, dessen Lebensroman ein sensationeller Publikumserfolg wurde. Vulpius’ Verleger konnte in die Hände klatschen. Johann Wolfgang von Goethe hingegen wird sich ein wenig gegrämt haben, denn seine Bücher verkauften sich durchaus schleppender als die seines Schwagers.
Der Ruhm eines Verlegers bemisst sich nicht an Verkaufszahlen, er bemisst sich am Wagemut und ein wenig auch am Wahnsinn seines Tuns.
1985 übernahm Siegfried Heinrichs den maroden Oberbaumverlag. „Ein kleines Zimmer in der Neuköllner Pannierstraße 54“, erinnert sich der Freund und Autor Utz Rachowski, „das der junge Lyriker Walter Thümler und ich ausweißten, ein Tapeziertisch, 12 Plastikstühle drumherum, ein paar Regale an der Wand. Wenn sich unerwartet wieder einmal ein alter Gläubiger mittels Gerichtsvollziehers ankündigte, packten wir am Vorabend blitzschnell unseren Verlag zusammen, Bücher, Akten, Tapeziertisch, 12 Stühle, versteckten sie in unseren Wohnungen und Kellern.“
Heinrichs finanzierte den Verlag durch seine Arbeit als Materiallagermeister in einer Kreuzberger Firma für Sanitäreinrichtungen, 25 Jahre verkaufte er Kloschüsseln. Seine Autoren brachten ihm wenig ein. Obwohl sie das Zeug dazu hatten: „Ich habe vieles ausgegraben, was auch in großen Verlagen längst, wenn man es nur wollte, hätte veröffentlicht werden können.“ Wie alle guten Verleger war er beruflich der kleinen Familie der widerborstigen Trüffelschweine zugehörig.
„Geboren wurde ich im Kriegsjahr 1941. Herbst war es. Die Zugvögel über Deutschlands Wäldern sammelten sich, durchflogen den Rauch der zerbombten Häuser, noch jenseits der Grenzen. Zwei Jahre später fiel, mit dem Dank des Führers für Treue und Tod, mein Vater vor Stalingrad. Heimlich beseitigt, weiß ich heute, durch einen Schuss in den Rücken. Als Sozialdemokrat klebte er Plakate gegen Hitlers Endsieg.“
Siegfried – „meiner Mutter Sorgenkind durch Krankheiten, Schwierigkeiten in der Erziehung eines frühzeitig Ungehorsamen“ – schrieb schon als junger Mann Gedichte und Erzählungen, gab sie seinem Bruder, Abel vertraute Kain. Die Folge: siebeneinhalb Monate Stasi-Untersuchungshaft, dann drei Jahre im Zuchthaus Waldheim, wo schon Karl May einsaß.
„1096 Tage und Nächte inhaftiert für einige Gedichte, zusammen mit Mördern, Malern, Kinderschändern, Dieben. „Auch nach der Entlassung lebte ich in meinem Land, keine Zeile gedruckt, abgelehnt, alles, mit üblichen Begründungen, und suchte wenigstens das eine Gramm Hoffnung und Zärtlichkeit mir zu erhalten, zu erobern, im Wort, im Leben, das jeder Mensch für seinen Atem braucht.“
1974 verlässt er die DDR, ausgebürgert, „im Gepäck nichts als einige Bücher und Bitterkeit“.
„Die Gitter sind meinem Wort eingewachsen – deshalb versuche ich, sie mit meinem Atem, meinem Vers, zu zersägen.“
Er glaubte an das Wort, immer schon, und er konnte heraushören, wie andere die Worte verwendeten, ehrlich oder verlogen. Einspruch erheben. Das geht auch in Versen. Das geht besonders gut in Versen, weil die Worte nicht abgenutzt sind, neu erwogen werden, anders bedacht. Nur Sesselfurzer nehmen ihren Wohnsitz im Elfenbeinturm. Er schrieb einen offenen Brief an Anna Seghers, wünschte ihr darin, dass sie ihrem „Siebten Kreuz“ nicht noch ein achtes, das des ewigen Schweigens, hinzufügen möge, während die Menschen des Landes ihr Kreuz zu tragen hätten, „bei der Wanderung durch die Hölle der Realität“.
Auf der Visitenkarte eines guten Verlegers sind nicht die Verkaufszahlen vermerkt, sondern die Namen der Autoren, die er in seine Obhut genommen hat. Anna Achmatowa, Maria Zwetajewa, Boris Pasternak, Sergej Samjatin. Oder der aus Syrien exilierte Ali Ahmad Said, der unter dem Pseudonym Adonis schreibt. Oder Ousmane Sembène aus dem Senegal.
Kurz vor der Vergabe des Nobelpreises wurde Siegfried Heinrichs immer unruhig. Er hatte ja Brodsky im Programm, Walcott, er führte zwei Titel des Chinesen Ba Jin, und im letzten Jahr hatte das schwedische Fernsehen bereits einen Termin mit ihm am Tag der Bekanntgabe vereinbart, wegen Adonis, dem berühmten Dichter der arabischen Welt. Es wurde dann doch nichts mit dem ganz großen Erfolg. So wie es auch mit dem ungarischen Weltbürger Sándor Márai nichts wurde.
Er hatte Márais autobiografisches Werk und die Briefe in der Zeit des Umbruchs im Ostblock für 2000 D-Mark gekauft. 1996 erscheinen die „Bekenntnisse eines Bürgers“, Startauflage 500 Stück. Drei Jahre bevor Márais Wiederentdeckung in den Feuilletons gefeiert wurde. Als dann plötzlich alle ihn lasen, hatte Heinrichs die Rechte an den Piper-Verlag abgetreten, der ein Vermögen damit verdiente. Ein guter Coup, von wem auch immer.
Aber Erfolg ist schnell vergessen. Erinnern wird man sich an Siegfried Heinrichs, an einen, der für seine Verse in den Knast ging und der dennoch unverbrüchlich an die Verwandlungsmacht der Worte glaubte: 'Eines Morgens erwachst du und das Leben ist anders.'"Gregor Eisenhauer
Quelle:
http://www.tagesspiegel.de/berlin/nachrufe/siegfried-heinrichs/6751936.html
Siegfried Heinrichs in DER SPIEGEL:
AUTOREN
Der glückliche Pessimist
Von Traub, Rainer
Die spektakuläre Wiederentdeckung seines Romans "Die Glut" machte den ungarischen Schriftsteller Sándor Márai ein Jahrzehnt nach seinem Tod zum europäischen Bestsellerautor. In seinen jetzt erscheinenden Tagebüchern erweist er sich als scharfsichtiger Zeitzeuge.
Der Mann ist einsam und sehr alt, gebrechlich und halb blind - und doch geistig hellwach. In seinem Tagebuch notiert er ohne eine Spur von Larmoyanz, was ihm vom Leben geblieben ist. Er beschreibt die Krebsqualen und das entwürdigende Hospital-Siechtum der Frau, mit der er seit 62 Jahren verheiratet ist. Und er beschließt, im eigenen Fall einem derart "demütigenden Niedergang" zuvorzukommen: Den Krankenhäusern und Altersheimen, diesen "institutionellen Müllkippen", wird er sich nicht ausliefern.
Und so absolviert der 85-jährige Sándor Márai im Ausbildungscamp der Polizei im kalifornischen San Diego einen Schießkurs. Das Tagebuch, das er fast ein halbes Jahrhundert lang geführt hat, endet mit den Worten "Es ist so weit." Kurz vor seinem 89. Geburtstag, im Februar 1989, erschießt sich der Greis.
Das unerschütterlich klare Bewusstsein und die Haltung, die den letzten Akt des Schriftstellers Sándor Márai (sprich Schandor Maroi) auszeichnen, haben sein ganzes Leben geprägt: Das offenbart eine mehrbändige Auswahl aus den berühmten Tagebüchern, die Márai zwischen 1943 und 1989 zu Papier brachte. Sie erscheint nun auf Deutsch im Berliner Oberbaum Verlag
des literaturbesessenen Verlegers, Lyrikers und Márai-Pioniers Siegfried Heinrichs*.
Postum erst ist Márai im letzten Jahr international wiederentdeckt worden - als einer der großen Erzähler Europas. Sein Roman "Die Glut" begeisterte die Kritiker und wurde in mehreren Ländern zum Sensationserfolg; auch "Das Vermächtnis der Eszter", eine weitere Márai-Ausgrabung, drang auf die Bestsellerlisten vor. Die Veröffentlichung der Tagebücher aber belegt nun: Márai fesselt nicht nur als Erzähler, sondern auch als klarsichtiger Chronist und Diagnostiker seiner Epoche.
Der Sohn eines Anwalts und Nachkomme deutscher Einwanderer wurde im Jahr 1900 im ungarischen Kassa (im k. u. k. Deutsch Kaschau, heute Kosice/Slowakei) geboren. Mit den Großeltern sprach er deutsch, mit den Eltern ungarisch. Später war er mit dem Englischen, Französischen und Italienischen so vertraut, dass er Bücher in all diesen Sprachen las.
Mit 19 Jahren zog Márai nach Leipzig, um dort Zeitungskunde zu studieren - und schaffte es innerhalb weniger Monate, von der "Frankfurter Zeitung", der zu jener Zeit wohl bedeutendsten deutschsprachigen Zeitung, als ständiger Mitarbeiter engagiert zu werden. Zwar sah der junge Autor dort "siebenköpfige Drachen über die Reinheit der deutschen Sprache wachen", doch seine Feuilletons wurden - wie er in dem glänzenden autobiografischen Roman "Bekenntnisse eines Bürgers" stolz berichtet - unverändert gedruckt.
Im Kulturteil der "Frankfurter Zeitung" fand sich sein Name neben dem von Thomas Mann oder Stefan Zweig. Einige Jahre lang erwog der junge Márai sogar, als Autor ganz in die deutsche Sprache zu wechseln. Aber er hing zu sehr an seiner Muttersprache - und blieb ihr treu.
Von Frankfurt zieht Márai nach Berlin, wo er den noch unbekannten Autor Kafka entdeckt und ins Ungarische übersetzt. Vor allem aber lernt er in Berlin die zauberhafte Ilona Matzner, genannt Lola, kennen. Sie stammt wie Márai aus Kaschau.
Ihre Eltern haben sie nach Berlin geschickt, damit sie sich einen Mann aus dem Kopf schlägt. Dieser Mann ist ausgerechnet ein alter Freund von Sándor Márai. Mit seiner Loyalität ist es trotzdem nicht weit her, die Leidenschaft für Lola ist stärker. Er heiratet sie 1923, erst Lolas Tod im Jahr 1986 beendet die Ehe.
Eine schöne Frau zwischen zwei Männerfreunden: In diesem autobiografischen Dreieck könnte "Die Glut" ihren Ursprung haben, jener Roman über Freundschaft, Liebe und Verrat, der die aktuelle Márai-Renaissance auslöste.
Das junge Paar aus der Provinz siedelt bald über in die Literaturhauptstadt Paris. Auch dort arbeitet Márai als Journalist. "Ein wenig schlotterte die ,westliche Kultur'' an uns wie der Frack am Neger", heißt es in den "Bekenntnissen" über die schwierige Umstellung.
Nach zehn Lehr- und Wanderjahren in Westeuropa kehrt Márai 1928 nach Budapest zurück. Als Romancier, Essayist und Publizist ist er so produktiv, dass er binnen eines Jahrzehnts Ungarns erfolgreichster Autor wird: eine literarische Größe, vor der auch der Budapest-Besucher Thomas Mann den Hut zog - wie ein historisches Foto zeigt.
Mit 43 Jahren nahm Márai seine Tagebuchaufzeichnungen auf. Bis zur letzten Eintragung im Januar 1989 umfassen sie im ungarischen Original rund 3000 Seiten. Knapp die Hälfte davon gibt die Auswahl des Oberbaum-Verlags wieder.
Zu Beginn des Tagebuchs halten die Nazis noch den Großteil des Kontinents besetzt. Der Autor verachtet ihre ungarischen Verbündeten, die faschistischen Pfeilkreuzler, als "Abschaum" - und versteckt seine Notate im Boden. "Man kann in Ungarn nicht mehr anders leben als in innerer Emigration."
Während die Bomberflotten der Westalliierten Budapest ins Visier nehmen, vergräbt sich Márai in die Lektüre Platons oder spricht in der Rundfunkreihe "Mein liebster Schriftsteller" über Goethe: "Das einzige Menschenphantom im Universum, dessen Hand ich jetzt, da mir das Haus und die Welt über dem Kopf zusammenzubrechen drohen, ergreifen kann" - so beschwört er Goethe im Tagebuch.
Sein lateinischer Lieblingsautor Mark Aurel lehrt ihn, stoischen Gleichmut zu wahren: "Heute oder morgen wird eine Phosphorbombe meine fünftausendbändige Bibliothek verbrennen ... Während die anderen Europa und Ungarn verraten und zerstören, will ich bis zum letzten Augenblick beiden dienen: Ungarn und Europa."
Vor seinen Augen zerfällt das Bürgertum, "die Klasse, in deren Lebensform ich hineingeboren wurde". Im Beschreiben dieses Zerfallsprozesses sieht er "die einzige wirkliche Aufgabe in meinem Leben".
Angesichts der Zehntausende mit gelbem Stern, die an seinem Haus vorbei zur Deportation und Vernichtung getrieben werden, notiert er: "Es ist eine Schande zu leben ... Der Mensch als Epidemie". Doch Lola, die jüdische Ehefrau des berühmten Autors, bleibt offenbar unbehelligt.
Seltsam: Warum wird sie, im Tagebuch stets als L. chiffriert, nur so selten erwähnt?
Denken und Schreiben sind für Márai Männersache. "Frauen adelt die Liebe, Männer ihr Handwerk", lautet ein Eintrag. Ein 1942 publiziertes Prosastück - es spielt auf den Bibelmythos von Evas Entstehung aus einer Rippe Adams an - skizziert sein erzpatriarchalisches Frauenbild:
Gott hat sie ein wenig nebenher und als Zugabe, also mit leichter Hand und etwas zerstreut erschaffen, als er merkte, dass das Original so allein zu einsam und unvollständig war ... und dann hat sich das Zubehör und die Draufgabe so in die Brust geschmissen und ist ein bisschen übermütig geworden ... Männer, sie wurde doch aus einem Teilstück gefertigt, das der liebe Gott einfach so hingeklatscht hat, wie der Metzger die Zuwaage, den Knochen zum Fleisch.
So steht es im Buch "Himmel und Erde", das Anfang Januar bei Piper erscheint.
Aus dem Sommerhaus, in das sich Márai bei der Besetzung Ungarns durch deutsche Truppen zurückzieht, kehrt er 1945 ins zerbombte Budapest zurück. Aber die Hoffnung, im Schatten der siegreichen Roten Armee ungestört schreiben zu können, zerschlägt sich schnell. Anfang 1948 hält er im Tagebuch fest, das kommunistische Parteiorgan habe "die Arbeit meines ganzen Lebens zur ,schädlichen'' Literatur" erklärt. Statt sich zur Propaganda für das Regime zu erniedrigen, wie man Márai nahe legt, nimmt er 1948 ein Ausreiseangebot an.
Die Stationen des nun beginnenden 40jährigen Exils sind die Schweiz, Italien, New York, abermals Italien und schließlich, in Márais letzten Jahren, San Diego. Die öffentlichen Bibliotheken mehrerer Gastländer müssen ihm die verlorene Heimat ersetzen, er schreibt fortan nur noch für eine Hand voll ungarischsprachiger Leser seines kanadischen Exilverlags.
Márais wache Zeitgenossenschaft, sein enzyklopädischer und kosmopolitischer Geist lassen ihn die Tagespolitik ebenso behandeln wie Geschichte, Soziologie, Philosophie, Musik, bildende Kunst und anderes mehr. Dabei ist sein politischer Liberalismus ähnlich kompromisslos wie sein kultureller Konservativismus. Überall nimmt er den Zerfall bürgerlicher Kultur und klassischer Maßstäbe wahr.
Das Kino erscheint ihm als moderne Abart des religiösen Bilderbuchs, das im Mittelalter als "Biblia pauperum" dem analphabetischen Volk die Heilige Schrift ersetzte: Das Kino sei die "neue Bibel für alle, die geistig arm sind".
Ein paar Jahrzehnte später hat sich die Filmbranche auf ihre Weise an Márai gerächt: Ein internationales Konsortium sicherte sich, nach dem fulminanten Bucherfolg der "Glut", die Rechte am Stoff; für die Hauptrollen sind Juliette Binoche und Anthony Hopkins vorgesehen.
Neben der manchmal allzu rigiden Kulturkritik zeigt Márai oft lakonischen und grimmigen Witz. Die so genannten Bruderküsse zum Beispiel, zu denen die sowjetischen Führer tschechoslowakische Reformkommunisten nach der Niederwerfung des "Prager Frühlings" von 1968 nötigten, kommentiert er so: "Der zum Küssen gezwungene Gegner ist eine neue Figur der Geschichte. Hitler küsste sich nicht mit seinen Opfern, er begnügte sich bescheiden damit, sie abzumurksen."
Der Blick, mit dem er seine Zeitgenossen mustert, ist scharf, manchmal sarkastisch, aber nie gnadenlos. Über ein Sexkino im Rentnerparadies Florida schreibt er: "Die Greisenbabys stehen an der Kinokasse Schlange, um ein Gläschen Sex zu nuckeln." Was sich da ausdrückt, ist eher Schrecken als Spott. Der Autor weiß genau, dass er selbst zur wachsenden Masse der Alten gehört - und ahnt eine düstere Zukunft: "Eines Tages beginnt die Gesellschaft, sich gegen die Alten zu wehren, wie man sich gegen Seuchen wehrt."
In der zunehmenden Schwäche seiner späten Jahre genießt er umso mehr das Glück eines aktiven Bewusstseins: "Der Verfall ist zugleich ein Erlebnis; das Bewusstsein wählt aus der Vergangenheit und der Gegenwart das aus, was immer noch Realität ist, was immer noch durch den Dämmerschein leuchtet wie der letzte Strahl der untergehenden Sonne, wenn der Himmel bereits dunkel und das Licht nicht zu sehen, aber immer noch zu spüren ist."
Mit einem schönen Paradox, das Márai auf seinen Lieblingsphilosophen Schopenhauer gemünzt hat, beschrieb er insgeheim sich selbst: Er war ein glücklicher Pessimist. Sein Vermächtnis an die Nachwelt ist kurz und bündig. "Aus dem Nichts sende ich euch die Botschaft: Das Leben, und sei es noch so düster, noch so unergründlich und endlich, hat seinen Sinn. Einen einzigen Sinn: die menschliche Vernunft." RAINER TRAUB
* Sándor Márai: "Tagebücher". Band 1: "Auszüge, Photos, Briefe, Dokumentationen". 120 Seiten; 32 Mark. Band 2: "1984-89". 168 Seiten; 38 Mark. Band 3: "1976-83". 200 Seiten; 44 Mark. Band 4: "1968-75". 304 Seiten; 48 Mark. Band 5: "1958-67". 304 Seiten; 44 Mark. Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki. Band 6: "1945-57". Übersetzt von Paul Kárpáti. 252 Seiten; 44 Mark. Band 7: "1943-44". Übersetzt von Christian Polzin. 262 Seiten; 44 Mark. Alle im Oberbaum Verlag, Berlin.
Quelle:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-18124690.html
Links:
http://www.horch-und-guck.info/hug/veranstaltungen/in-memoriam-siegfried-heinrichs/
http://blogs.dickinson.edu/glossen/archive/most-recent-issue-glossen-342012/utz-rachowski-glossen-34/