Sendung: 27.06.2012. 09.40 Uhr. MDR Bücherjournal
Hier das Sendemanuskript:
O-Ton Rezensent:
Biografien über
Ausnahmepersönlichkeiten sind beliebt und für den Biografen dennoch keine
leichte Sache. Wie Udo Scheer das in seiner neuen Biografie macht, diesmal über
den Dichter und Maler Günter Ullmann, zeigt einmal mehr den Meister seines
Fachs. Das Buch ist mit leichter Hand geschrieben und dennoch konsequent
strukturiert. Scheer führt den Leser vom ersten Satz an in ein
spannungsgeladenes wie tragisches Dichterleben ein. Es geht dabei vor allem die
Zeit der zweiten deutschen Diktatur: sämtliche öffentliche Aktivitäten, also
auch das Schreiben, haben auf „Parteilinie“ zu sein. Andernfalls droht der Maulkorb. „Wer die DDR
angreift, wird vernichtet“, heißt es auf einem der unzähligen Spruchbänder. So
gehen namhafte DDR-Autoren eher daran, dieses System zu dekorieren, (Fritz J.
Raddatz) als es in Frage zu stellen. Günter Ullmans politischer Weg führt über
die öffentliche Sympathiebekundungen für den „Prager Frühling“. Am Anfang
stehen Texte und Melodien für eine Rockband.
Thematisiert werden „Freiheit und Toleranz“. Ullmann reflektiert also zunächst über die
Musik, was umher an politischer Willkür geschieht.
O-Ton Udo Scheer:
Dabei wollte Günter
Ullmann eigentlich nie ein politischer Mensch sein. Doch jemand wie er, mit
seinem Gerechtigkeitssinn, und dem Anspruch: „Sagen, was ist!“ hat gestört.
Das muss man sich
vorstellen, ein Lyriker, ein sensibler Mensch, für den jedes Echo auf seine
Verse von existentieller Bedeutung ist, wird totgeschwiegen. Dagegen bäumen
sich seine Gedichte auf:
HINTERHOF // der
winter / bleibt klein // die sonne hat / vier ecken.
Zehn Worte genügen
ihm, um den Aberwitz und die Perspektivlosigkeit in diesem Land auf den Punkt
zu bringen. Sogar die Sonne hat vier Ecken, wird beschnitten. Das sind Bilder,
die brennen sich wie Blitze ins Gedächtnis ein.
Manchmal, wenn ihm die
Ungerechtigkeiten unerträglich werden, träumt er sich mit wunderbaren Versen in
das Glück der Kindheit zurück:
… die sterne waren
ganz kleine kinder / meine Flügel waren / aus kometenschweif.
O-Ton Rezensent:
Auch Ullmanns Schocks und Ängste
weiß Scheer behutsam wie klar zu schildern. Der Leser erfährt von der
Erschießung eines desertierten 18jährigen russischen Soldaten auf dem
Kasernenhof, in dem Ullmann seinen Wehrdienst ableistet. Ebenso aber erfährt
der Leser von Ullmanns „sanft-radikalen“ (Biermann) Mut, öffentlich gegen den
in Greiz als Wunderknaben agierenden Protegé der Partei, Ibrahim Böhme,
aufzutreten. Und es spricht für Ullmann, dass er Böhme, dem er dennoch als
Freund alles anvertraute, was die Stasi ihm später bei den Verhören knallhart
präsentierte, nach der Wende nicht als Stasi-Spitzel, der Böhme war, verdammte,
sondern ihn weiterhin als Weggefährten
begreift. Allerdings werden die Folgen
dieser Freundschaft irreparabel sein.
Die Zersetzungsmethoden, die der Staatssicherheitsdienst gegen Ullmann
in die Wege leitet, treiben den Künstler, Ehemann und Familienvater, nahe an
den Rand des Wahnsinns.
O-Ton Udo Scheer:
In einem unserer
Gespräche sagte er: „In den Verhören war
ich, glaube ich, ziemlich stark. Zu Hause fühlte ich mich depressiv und
verfolgt.“
Günter Ullmann ist
zutiefst irritiert: Woher weiß die Staatssicherheit so bescheid? Böhme ein
Verräter? – Unmöglich!
Nach 1989 sagte er:
„Ich weiß nicht, ob ich die DDR länger überstanden hätte.“
O-Ton Rezensent:
In einer Diskussion mit einem
westdeutschen Doktoranden fiel kürzlich der Satz, „bei der DDR-Aufarbeitung
läuft man Gefahr, dass sie womöglich am Ende in einer Atombombe mündet.“
Nun, Bomben haben die Aufgabe der Abschreckung und der Zerstörung. Scheers Biographie über einen verbotenen
Dichter dagegen ist im besten Sinne ein Beitrag zur Aufarbeitung einer
Diktatur, die Menschenleben mit den Mitteln der Lüge und des Verrats
zerstört. Scheer vollzieht sensibel den
Weg des durch die Wende auch geretteten Dichters Ullmann. Fazit: Günter
Ullman gehört, und auch das ist das
Verdienst dieser wunderbaren Biografie, zu jenen Autoren, die noch lange
gelesen werden, gerade weil man ihnen
irgendwie immer glauben kann.
Udo Scheer. Die Sonne hat vier Ecken. Günter Ullmann - Eine Biographie. Mitteldeutscher Verlag. 287 Seiten. ISBN 978-3-89812-869-4
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