MDR-Figaro. Die Sendung ist heute , am Mittwoch, den 25. April 2012, um 09:45 gelaufen. Anna Schädlich und Susanne Schädlich, "Ein Spaziergang war es nicht. Kindheiten zwischen Ost und West", Heyne Verlag 2012.
Sendung: 25.04.2012. MDR-Bücherjournal.
Hier das Manuskript der Sendung:
Sendung: 25.04.2012. MDR-Bücherjournal.
Hier das Manuskript der Sendung:
Anna Schädlich und Susanne Schädlich: Ein Spaziergang war es nicht. Kindheiten zwischen Ost und West. Heyne Verlag,
322 Seiten, mit s/w-Fotos, € 19.90, CHF 28, 50.
O-Ton Rezensent:
„Die Kunde ihres Unglücks weckt
mein Mitleid, König!“ mahnt der Chorführer in Euripides „ Kinder des Herakles“.
Mitleid ist das Thema aber nicht, das die Töchter des Schriftstellers Hans-Joachim
Schädlich in ihrer großartigen Anthologie, „Ein Spaziergang war es nicht“, Kindheiten zwischen Ost und West, amalgieren.
Zahlreiche Künstler, Wissenschaftler und Autoren verließen in den ‘70er und ‘80er Jahren mit ihren
Familien die DDR und Richtung Bundesrepublik.
Es geht um die Repressalien der
ideologischen Klaviatur. Nur die Kinder
wurden nicht gefragt. Aber wäre das überhaupt möglich gewesen? Ein Gutteil der
Texte verweist auf Geschicklichkeit, Phantasie und Mut, die ein Kind in
scheinbar ausweglosen Situationen entwickelt. Insgesamt gelingt den Texten der längst
erwachsenen Frauen und Männer eine hochbrisante Widergabe einer Kindheit
zwischen zwei Welten.
O-Ton Herausgeber (Anna
Schädlich):
Beide Generationen, die wir in
der Anthologie versammelt haben, sind doppelt geprägt. Es handelt sich einmal
um die gelebte Erinnerung, zum anderen um die erzählte Erinnerung. Susanne,
meine Schwester, war damals zwölf Jahre alt, ich war damals vier Jahre alt. Wir
haben ganz unterschiedliche Erfahrungen. Das war uns wichtig, dass eben endlich
die Kinder der sogenannten Prominenten zu Wort kommen, denn zuvor haben immer
nur sie die Bühne betreten, und jetzt
war es uns wichtig, dass die Kinder zu Wort kommen – und dadurch ist auch eine
große Vielfalt entstanden.
O-Ton Rezensent:
Es sind die Kinder von Dewath-
Rachowski, Franck, Gunardano, Havemann-Biermann,
Honigmann, Kirsch, Klier, Krawczyk, Kunert, Langhoff, Pawlow, Schädlich, Schleime,
Schlesinger, Schönemann und Schollak. Sie leben mit den Biographien der Eltern
und nehmen Anlauf zur eigenen Identität. Ereignisreiche, unerhörte Vorgänge bilden die Hürden. Zudem fällt der Hammer. Man muß weg. Es
kommen die bohrenden die Fragen. Warum muß ich weg? Was wird aus Oma und Opa? Was
aus meinen Freunden? Was man liebt
und verlassen muß, zerreißt. Als einer
zerrissenen Generation zugehörig sehen auch die Herausgeberinnen den
versammelten Chor dieser Anthologie.
O-Ton Herausgeber (Susanne
Schädlich):
Also, wenn man von Riß oder zerrissen
spricht, denke ich, dass es sich da um
mehrere Ebenen handelt. Einerseits zunächst
der Riß im Herzen. Man mußte sich praktisch als Kind damals das Gewohnte
herausreißen und natürlich auch die gewohnte Umgebung, ja. Als man dann im
Westen war, war nicht nur der Riß im Herzen Ausdruck, sondern irgendwann kam
zum Ausdruck, dass man sich innerlich zerrissen fühlte, zwischen zwei Welten –
nämlich dem, was zurückgeblieben war und dem, in dem man jetzt sich wiederfand.
Und ich glaube, dass diese Zerrissenheit den Zustand Deutschlands heute noch
spiegelt.
O-Ton Rezensent:
Dieser Riß zieht sich durch das gesamte
Buch. Er ist quasi der Motor der vorliegenden Texte und die gemeinsame Mitte. Die Freiheit der Erwachsenen ist nicht gleich
die Freiheit der Heranwachsenden. Jeder hat seine eigene Betroffenheit.
Wird die „Ausreise“ am Ende auch positiv
bewertet, teils als das Beste, was geschehen konnte, fällt die Ankunft im
Westen auch „schwer“.
O-Ton Herausgeber (Susanne
Schädlich):
Als diejenigen, die wir von der
DDR in die Bundesrepublik kamen, war’s eben doch nicht so. Man kam von
Deutschland nach Deutschland. In das, was man kam, das war fremd, und das war
vor allem darauf zurückzuführen, dass unterschiedliche Sozialisierungen stattgefunden
hatten. Im Grunde kann man das tatsächlich darauf reduzieren, dass es kein
Spaziergang war, von Deutschland nach Deutschland zu kommen.
O-Ton Rezensent:
Verjagte sind die Kinder des
Herakles. Am Ende steht die Freiheit. Die vorliegenden Texte sind originär
erzählte Auseinandersetzungen im Umgang mit dem Unvorhergesehen sowie einer
neuen Freiheit, die erst noch zu knacken ist - und wohl des Prädikates
„besonders wertvoll“ wert.
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