Sir Elton John, Heinrich Böll (posthum), Lew Kopelew (posthum) u.a. haben sie schon bekommen.
Verehrte Teilnehmer und Zeitzeugen der Danziger August-Streiks 1980 und
der Zeit des Kriegsrechts ab dem 13. Dezember 1981
Während jener vier Tage war das Haftpersonal bewaffnet und lungerte in Scharfschützenmanier auf den Dächern. Wir blickten einander an und die Frage lautete, ob sie schießen. Die Antwort überrascht am Ende vielleicht nicht einmal, aber ich muss gestehen, dass mich die Möglichkeit, einer von dreihundertfünfzig niedergeschossenen politischen Häftlingen zu sein, auch heute noch etwas nervös macht.
Doch es hat sich alles gelohnt.
Der beeindruckende Kampf der Solidarność um Freiheit, Unabhängigkeit und Wohlstand mündete nicht nur im Untergang des hermetischen Ostblocks sondern es erneuerte grundlegend die Europäische Union. Den klugen Köpfen der Solidarność war es aus staatstheoretischer Sicht klar, dass Polen „an seiner Westgrenze ein wiedervereintes Deutschland und keine stalinistische DDR“ braucht. So steht es in den Sonderberichten der Verwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR vom 12. Dezember 1981. Und weiter dort „Fernziel des ["Komitees zum Schutz der Arbeiter" für inhaftierte Dissidenten, kurz]: KOR ist die Eingliederung der Volksrepublik Polen in ein vereintes Europa mit einem wiedervereinten Deutschland.“ Das ist nun alles so geschehen.
Die ebenfalls notierte „Überzeugung…dass die Entwicklung in Polen auch auf die DDR übergreifen wird“, hat sich dagegen nicht bestätigt. Gewiss lagen vielen Menschen in der DDR die August-Ereignisse 1980 am Herzen, am Ende traten zu wenige dafür ein. Auch die friedliche Revolution 1989 in der DDR bekannte sich kaum zu ihrem Vorbild Polen. Deshalb ist es auch kaum verwunderlich, dass der von seiner Anzahl größte Protest in der DDR gegen das Kriegsrecht in Polen ausgerechnet in einer DDR- Strafvollzugseinrichtung stattfand. Nirgends im Land war das Wort so frei als im politischen Gefängnis.
Und auch die Antwort auf unsere Frage ist moderner denn je: Die KoKo, die von Honecker 1966 gegründete Kommerzielle-Koordinierung, war unermüdlich damit beschäftigt, harte Weltmartktwährung, Devisen genannt, in die ewig klammen Kassen der DDR zu spülen. Dazu gehörte auch der frei verkaufbare unbekannte politische Häftling (offiziell durfte es den ja nicht geben).
Aktenkundig sind zwar Gespräche zwischen der Gefängnisleitung und dem zentralen Operativstab der Stasi über den praktischen Einsatz einer bewaffneten Truppe. Doch welcher praktische, vernunftbegabte Mensch schießt eine Ware im Geld-Wert von 95.847 mal 350, das sind 33.546.450 Valuta, über den Haufen? Der Chef der Kommerziellen Koordinierung, Schalck-Golodkowski, dessen Vater bereits ein guter Rechner beim russischen Zaren gewesen ist, dürfte sich, hoch oben, im Sitz der KoKo, im 23. Flur des Internationalen Handelszentrums an der Friedrichstraße, die Haare gerauft haben - und da wurde eben nicht geschossen!
Schon für Marx war „in Wirklichkeit die treibende Kraft die Beziehung des Menschen zur Materie und das wichtigste daran seine Produktionsweise. Dadurch [wurde] der Marxsche Materialismus in der Praxis [ja] zur Wirtschaftslehre.“[i]
Aber auch aus anderen Gründen wird weiter nach Marx gegriffen, in Opportunitätserwägungen einbezogen, um unablässig zu schmähen, was nicht den Beschreibungen des eingeübten Standpunktes entspricht. Bis heute ist „die Rechte nicht eben ein leuchtendes Vorbild. Aber die Linke ist schizophren“[ii] geblieben. Ihr fehlt weiterhin die „Festigkeit der Überlegung und auch ein wenig Bescheidenheit“, stattdessen ergeht sie sich in „eingebildeten Gewändern“[iii]
Man muss seine Zeit wie einen Erwachsenen betrachten, daß heißt ohne voreingenommene Sympathie oder Antipathie. Das heißt nach den Maßstäben der Kritik und der Vernunft.
V.l.n.r.: Basil Kerski, Thomas Zaremba, Viktor Witt, Bogdan Borusewicz, Bernd Schalbe i Axel Reitel
Fotos: Dominik Paszliński/www.gdansk.pl
* Quelle: https://17juni1953.wordpress.com/category/hohenecker-bote/ (Letzter Zugriff 07.01.2017)
Polen: Hohe Auszeichnung für ehem. Politische Gefangene
cw – 1981 waren die drei Männer im
Cottbuser Gefängnis in den Hungerstreik getreten. Sie wollten damit die
Ideen der Gewerkschaftsbewegung Solidarność unterstützen. Für diese
mutige Haltung erhielten Knut Dahlbor, Axel Reitel und Viktor Witt am
12. Dezember in Danzig die „Dankbarkeitsmedaille“ des Europäischen
Zentrums für Solidarität. International bekannt wurde ihr Schicksal
durch den DW(Deutsche Welle)-Film „Lernt Polnisch”. Die 45minütige
Dokumentation wurde in Co-Produktion mit Telewizja Polska (TVP)
produziert und 2014 der internationalen Öffentlichkeit vorgestellt.
„Diese Männer zeigten ungeheuren Mut und
machten klar, dass der Kampf um die Demokratie keine Grenzen kennt“,
sagte der stellvertretende Vorsitzende des polnischen Senats und
Mitbegründer der Solidarność, Bogdan Borusewicz, zu der Preisverleihung.
„Endlich bekommen sie einen handfesten Dank dafür, was sie 1981 in dem
Cottbuser Gefängnis für die Demokratie in diesem Teil Europas getan
haben.“
Der Film erzählt von den Anfängen des
Widerstands einer fast vergessenen Bewegung in der ehemaligen DDR. In
eindrücklichen Bildern wird die Aufbruchstimmung und die Courage der
DDR-Bürger dokumentiert, die für ihre Ideale ins Gefängnis gingen. Am
Ende stehen sich Lech Wałęsa, der damalige Chef von Solidarność, und
ehemalige DDR-Oppositionelle gegenüber. Sie reichen sich 25 Jahre nach
dem Fall der Mauer die Hand in Danzig, der Stadt, in der alles begann.
Die Dankbarkeitsmedaille wird seit 2010
in Danzig verliehen. Sie dient dem Gedenken an die polnische
Oppositionsbewegung Solidarność und soll die Menschen ehren, die
Solidarność weltweit in den 1980er-Jahren unterstützten.
Von einer ähnlichen Schaffung einer
Auszeichnung in Deutschland ist 26 Jahre nach der Wiedervereinigung
nichts bekannt. Auch hier wäre Lernfähigkeit angezeigt. Bereits in den
neunziger Jahren erhielt der 17.Juni-Kämpfer und ehemalige Bauarbeiter
an der Stalinallee, Manfred Plöckinger, in Anwesenheit der
seinerzeitigen Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Hanna Renate Laurien,
die „Kombattantenmedaille“ Polens, mit der die einstigen Aufständischen
in Posen von 1956 ausgezeichnet worden waren. Posthum erhielt
Plöckinger nach seinem Tod (2002) ein Ehrengrab im Ehrenhain „17.Juni
1953“ auf dem Friedhof Seestraße im Berliner Bezirk Wedding. Wenigstens
das.*
Dankesrede aus Anlass der Verleihung der
„Dankbarkeitsmedaille“ an mich und vier andere vom und im Europäischen
Solidarność-Zentrum (ECS) in Danzig am 12. Dezember 2016,
von Axel Reitel,
Schriftsteller mit Wohnsitz in Berlin.
Verehrte Mitglieder des
Auswahl-Ausschusses,
verehrte Mitglieder des
Europäischen Solidarność-Zentrums,
liebe Mit-Geehrte,
liebe Lebensgefährtin,
verehrte Damen und Herren, liebe
Freunde!
die „Ausrufung“ der Protestaktion
gegen das Kriegsrecht und für die uneingeschränkte Zulassung der Solidarność, geschah
in einem Gefängnis, das
vom Ministerium für Staatssicherheit indirekt verwaltet und fest in den
Transaktionen der für die Staatsdevisen der DDR verantwortlichen Kommerziellen
Koordinierung, kurz: KoKo, verankert war. Sie begann mit handgeschriebenen Aufrufen
am 14. Dezember - und erreichte ihren Höhepunkt am 17. Dezember 1981. Das
Gefängnisregime war durch Zellenspitzel vom ersten Tag an vorbereitet. Am 17.
Dezember erwartete die Arbeitskommandos
in der Speisebaracke eine Hundestaffel. Essen! wurde befohlen. Die
Listen aller Verweigerer gibt es: sie werden der Forschung durch die Behörde
für die Unterlagen der Staatssicherheit
nur geschwärzt zur Verfügung gestellt.
Während jener vier Tage war das Haftpersonal bewaffnet und lungerte in Scharfschützenmanier auf den Dächern. Wir blickten einander an und die Frage lautete, ob sie schießen. Die Antwort überrascht am Ende vielleicht nicht einmal, aber ich muss gestehen, dass mich die Möglichkeit, einer von dreihundertfünfzig niedergeschossenen politischen Häftlingen zu sein, auch heute noch etwas nervös macht.
Doch es hat sich alles gelohnt.
Der beeindruckende Kampf der Solidarność um Freiheit, Unabhängigkeit und Wohlstand mündete nicht nur im Untergang des hermetischen Ostblocks sondern es erneuerte grundlegend die Europäische Union. Den klugen Köpfen der Solidarność war es aus staatstheoretischer Sicht klar, dass Polen „an seiner Westgrenze ein wiedervereintes Deutschland und keine stalinistische DDR“ braucht. So steht es in den Sonderberichten der Verwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR vom 12. Dezember 1981. Und weiter dort „Fernziel des ["Komitees zum Schutz der Arbeiter" für inhaftierte Dissidenten, kurz]: KOR ist die Eingliederung der Volksrepublik Polen in ein vereintes Europa mit einem wiedervereinten Deutschland.“ Das ist nun alles so geschehen.
Die ebenfalls notierte „Überzeugung…dass die Entwicklung in Polen auch auf die DDR übergreifen wird“, hat sich dagegen nicht bestätigt. Gewiss lagen vielen Menschen in der DDR die August-Ereignisse 1980 am Herzen, am Ende traten zu wenige dafür ein. Auch die friedliche Revolution 1989 in der DDR bekannte sich kaum zu ihrem Vorbild Polen. Deshalb ist es auch kaum verwunderlich, dass der von seiner Anzahl größte Protest in der DDR gegen das Kriegsrecht in Polen ausgerechnet in einer DDR- Strafvollzugseinrichtung stattfand. Nirgends im Land war das Wort so frei als im politischen Gefängnis.
Und auch die Antwort auf unsere Frage ist moderner denn je: Die KoKo, die von Honecker 1966 gegründete Kommerzielle-Koordinierung, war unermüdlich damit beschäftigt, harte Weltmartktwährung, Devisen genannt, in die ewig klammen Kassen der DDR zu spülen. Dazu gehörte auch der frei verkaufbare unbekannte politische Häftling (offiziell durfte es den ja nicht geben).
Aktenkundig sind zwar Gespräche zwischen der Gefängnisleitung und dem zentralen Operativstab der Stasi über den praktischen Einsatz einer bewaffneten Truppe. Doch welcher praktische, vernunftbegabte Mensch schießt eine Ware im Geld-Wert von 95.847 mal 350, das sind 33.546.450 Valuta, über den Haufen? Der Chef der Kommerziellen Koordinierung, Schalck-Golodkowski, dessen Vater bereits ein guter Rechner beim russischen Zaren gewesen ist, dürfte sich, hoch oben, im Sitz der KoKo, im 23. Flur des Internationalen Handelszentrums an der Friedrichstraße, die Haare gerauft haben - und da wurde eben nicht geschossen!
Schon für Marx war „in Wirklichkeit die treibende Kraft die Beziehung des Menschen zur Materie und das wichtigste daran seine Produktionsweise. Dadurch [wurde] der Marxsche Materialismus in der Praxis [ja] zur Wirtschaftslehre.“[i]
Aber auch aus anderen Gründen wird weiter nach Marx gegriffen, in Opportunitätserwägungen einbezogen, um unablässig zu schmähen, was nicht den Beschreibungen des eingeübten Standpunktes entspricht. Bis heute ist „die Rechte nicht eben ein leuchtendes Vorbild. Aber die Linke ist schizophren“[ii] geblieben. Ihr fehlt weiterhin die „Festigkeit der Überlegung und auch ein wenig Bescheidenheit“, stattdessen ergeht sie sich in „eingebildeten Gewändern“[iii]
Man muss seine Zeit wie einen Erwachsenen betrachten, daß heißt ohne voreingenommene Sympathie oder Antipathie. Das heißt nach den Maßstäben der Kritik und der Vernunft.
Möge diese
Medaille also auch Gruß und Zuspruch für alle sein, die verstehen wollen und
nicht richten, die für eine gerechte Gemeinschaft kämpfen und für Wahrheit und
Freiheit gewaltlos im Einsatz sind. Und auch im Gedenken an die bislang namenlos
gebliebenen Mit-Streikenden möchte ich mich noch einmal bei den Mitgliedern des
Ausschusses und beim Solidarność-Zentrum für diese hohe Auszeichnung aufrichtig
bedanken und Sie alle herzlich grüßen.
Haben Sie Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Haben Sie Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
©2016
by Axel Reitel
[i] Vgl. Bertrand Russel, Philosophie des Abendlandes,
Europa Verlag Zürich 2007, S. 791.
[ii] Vgl. Albert Camus, Verteidigung der Freiheit, Rowohlt
1997, S. 119.
[iii] Ebenda.
V.l.n.r.: Basil Kerski, Thomas Zaremba, Viktor Witt, Bogdan Borusewicz, Bernd Schalbe i Axel Reitel
Fotos: Dominik Paszliński/www.gdansk.pl
* Quelle: https://17juni1953.wordpress.com/category/hohenecker-bote/ (Letzter Zugriff 07.01.2017)