Dienstag, 10. April 2012

Ausland: Einladungen aus dem Ausland: Gast bei Magyar Rádió

 
Vom 11. April bis 14. April 2012 weile ich als Gast in Budapest. Ich freue mich auf die Gesprächsrunde im Sendehaus von Magyar Rádió. Einige Fragen bekam ich im Voraus geschickt. Die Fragen und die Antworten vorab hier. 
 
                     Magyar Rádió - Questions. Axel-Answers: 


   

                  1. Waren Sie wirklich einer der jüngsten politischen Gefangenen in der DDR? Aus welchem Grund wurden Sie eigentlich verurteilt?

     In der DDR, womöglich im gesamten Ostblock, bekam jeder Bürger ab dem vollendeten 14. Lebensjahr einen Personalausweis. Den hatte er gegenüber der Polizei jederzeit vorzuweisen. Andernfalls drohte eine Geldstrafen oder die Mitnahme auf das Polizeirevier. Ab dem vollendeten 14. Lebensjahr war jeder Staatsbürger der DDR aber auch strafmündig. Die üblichen Knäste mit kriminellen Delikten waren  also mit Strafgefangenen ab dem 14. Lebensjahr belegt. Oft genügte für eine Verurteilung ein kleiner Diebstahl in einer kleinen Kaufhalle. Kleine Fische also, das genügte dem stalinistisch geprägten Rechtsapparat. Die politischen Fälle, für die das Ministerium für Staatssicherheit zuständig gewesen ist, wurden im Grunde erst ab dem 17. Lebensjahr strafrechtlich verfolgt.  Der Fall eines 16jährigen ist mir aber auch bekannt. Dieser 16jährigen wurde vom MfS in die U-Haft gesteckt. In der Zelle mußte er während der monatelangen Vernehmung auch seine Hausaufgaben erledigen. Ich wurde in den frühen Morgenstunden des 17. Juni 1978 verhaftet. Ich war am späten Abend des 16. Juni 1978 mit Freunden zu einer Fete unterwegs gewesen. Der Weg führte uns an der Kaserne der berüchtigten Grenztruppen vorbei. Plauen, im Vogtland, liegt nahe an Bayern. Ich hatte eine DDR-Fahne aus einer Halterung genommen und sie aus Ulk ein bißchen herumgeschwenkt, a la Tambourmajor in Büchners Stück “Woyzeck“. Ein paar andere haben sich eine rote Fahne geschnappt und diese angezündet. Die Fahnen waren zum 25. Jubiläum des Plauener Spitzenfestes gehißt worden. Plauener Spitzen hatten ja auf der Weltausstellung 1900 in Paris eine Goldmedaille errungen. Das Fest erinnerte daran und war ein jährliches Highlight. Gleichzeitig war es aber auch der 25. Jahrestag des 17. Juni 1953. Wenn man sich die aufgeregte Frage vom MfS-General Erich Mielke am Tag der Revolution 7.Oktober 1989 gegenüber seinen Getreuen ins Gedächtnis bringt - "Haben wir jetzt den 17. Juni [1953]?“- dann weiß man um die unterschwellige Hysterie, die den Staatsapparat der DDR Jahrzehnte begleitet hat. An jedem 17. Juni galt für die Sicherheitskräfte der DDR höchste Alarmstufe. In unserem Fall lauerte der Polizei-Abschnittsbevollmächtigte des Wohnbezirkes (so wurden in der DDR die Stadtviertel genannt) in einem nahen Trauerweidengebüsch und informierte, nach dem wir weitergezogen waren, stracks die unweit entfernt liegende Kreisdienststelle der Stasi. Nach unserer Verhaftung hat er dafür zwei Sterne mehr auf die Schulterstücke bekommen. Das beschert ihm heute eine höhere Rente. Na, wenn das dem ABV kein Dankeschön an uns wert ist.
       
                     2. Unter welchen Umständen begegneten Sie dem Thema und den Akteuren des Hörspieles?
   
   Zuerst begegnete ich dem Thema „Freigekauft“ in meiner Biographie. Ich ging mit 19, das Abitur auf krummen Wegen, das heißt trotz Verbot, mit der Hilfe zweier mutiger Lehrer, in der Tasche, noch einmal freiwillig in den Stasiknast. Und zwar, um von der Bundesrepublik freigekauft zu werden. Dem ersten Akteur des Features, Dieter R., begegnete ich 1980 in Plauen. Wenn man so will, ist das die Geburtsstunde dieses Features. Dieter R. hatte 2 ½ Jahre wegen eines Witzes im politischen Knast in Cottbus gesessen. Da sein Vater ein hoher Offizier eben jener Grenztruppen (sic!) war, ließ man Dieter R. absitzen. Als Dieter rauskam, wurde sein Vater in Unehren entlassen. Dieter R. aber bekam seine Ausreise-Papiere. Ich bin mit Dieter R. alle Wege mitgegangen. Er hat mir in den verbleibenden drei Wochen alles über den Freikauf politischer Gefangener aus der DDR-Haft in die Bundesrepublik Deutschland erzählt. Dass nun eine geraume Zeit bis zum Jahr 2010 vergehen mußte, bis ich mich dem  Stoff tatsächlich zuwendete, nun, so lesen sich ja manche Schicksale. Was den Entwicklungsprozeß - Exposé - Recherche - Interviews - Reinschrift - betrifft, trat auch hier Überraschendes zutage,  was ans Metaphysische grenzt, womöglich sogar in diesen Bereich des Zusätzlich-Realen gehört. Das Material ist das eine, ein bereitwilliger Gesprächspartner ist das andere. Wenn man Glück hat,  hat man einen Treffer und wird dann in seinem thematischen Dorf herumgereicht. „Kennen sie auch diese und jenen?“ „Und mit denen müssen sie unbedingt auch noch sprechen!“ So war es gewesen. Kinder schweigen gewöhnlich, wenn sie leiden. Aber auch Erwachsene mit einer Leidensgeschichte öffnen sich am ehesten Gesprächspartnern mit gleichen Erfahrungen oder zu mindestens mit einer sauberen Biographie. Also keinen ehemaligen Opportunisten, die jetzt auf Gutmenschen machen. Diese Erfahrung habe ich bei meinen Recherchen gemacht. Es sind ja alles Stoffe des Horrors, die ich bisher bearbeitet habe – gerade deshalb versuche ich soviel Lebendigkeit und Schönheit wie möglich, auch der Sprache, zurückzuerobern. Ich bin also quasi auf einem Kriegszug, ein Soldat ohne Waffen. 
           3. Wie weit war das Verfahren  in der (deutschen) Gesellschaft bekannt, dass politische Gefangene vom Westen "frei gekauft" werden?
      
     Das Thema gehörte in der DDR zu den Tabus. Aber wie es mit den Tabus vor allem in geschlossen Gesellschaften einmal so ist, werden gerade diese innerhalb der Gesellschaft vehement thematisiert. Natürlich waren die Details nicht bekannt, andernfalls hätte das vom Rechercheur eine andere Herangehensweise verlangt. Der Westen, die Bundesrepublik, waren zweifelsohne Gesprächsthema Nummer 1 in der DDR. Wie verhielt es sich übrigens mit den Reisemöglichkeiten im kommunistischen Ungarn? Das wäre meine interessierte historische Frage an die geschätzten Zuhörer von Magyar Rádió. In der DDR waren Westreisen außer für ausgewählte Kader und Rentner im Großen und Ganzen  tabu. Gerade deswegen war das Thema so ungeheuer wichtig und permanent da: wegen der Verbrechen, die der Staat vor aller Augen am eigenen Volk beging. Und da sickerte auch durch, dass politisch eingesperrte DDR-Bürger von der Bundesrepublik aus den DDR-Knästen rausgekauft werden. Und dass diese freigekauften Bürger auf geheimen Wegen in die Bundesrepublik gebracht werden. Eigentlich ist das ein ungeheurer Vorgang. Ein Staat „kassiert“ {umgangssprachlich für verhaftet. AR] Menschen wegen eine Lappalie ein, um mit dann mit diesen Menschen beim Westen abzukassieren. Über die Einzelheiten des „Freikaufs“ aber wusste wohl niemand in den unteren Reihen wirklich Bescheid. Offiziell entschieden wurde ja auch, dass es  keine politischen Gefangenen in der DDR gibt. Aber sagen sie mal einem Volk, was es gibt und was es nicht zu geben hat. Das Volk produziert gottseidank auch darüber noch seine eigenen Gedanken.
     
         4. Auch seither kämpfen Sie für Demokratie, ist es ihr menschlich-journalistischer Grundsatz, oder ein aus der DDR mitgebrachtes Erbe des  Reporters?
     
    Ich würde knapp sagen, sowohl als auch. Es geht um die Grundsätze des gründlichen Denkens. Wie ein Kind auf der Suche nach sich selbst mit Fragen nicht aufhören kann, verbietet es  nachher die „innere Hygiene“ fraglos in der Sonne zu liegen.  Meine früheste Begegnung mit dem Thema Demokratie, was das ist, und den Folgen, verdanke ich einem Zufall. Ich war 12, da bekam ich von meinen Eltern an Weihnachten Homer für Kinder, aufgeschrieben von Alexandru Mitru, geschenkt. Griechenland wurde das große Thema. Bis zu meiner zweiten Verhaftung mit 19. Plutarch, Euripides waren meine Helden. Von den minoischen Epochen las ich mit Begeisterung. Sodann die Vorsokratiker und die griechische Geschichtsschreibung bis zum perikleischen Staat. Ich lernte: Demokratie ist streitbar. Du mußt dich einbringen. Du mußt dein Wort erheben im Diskurs auf der Agora. Demokratie ist Diskurs, gründlicher Diskurs. Es ist eine Gemeinschaft von interessierten Menschen. Erinnern Sie sich, was der französische Soziologe Emmanuel Todd vor einigen Jahren auf arte sagte, woran der kommunistische Staatenverbund zugrunde gegangen ist? Nicht an seinen Verbrechen. Die Menschen hatten an diesem Vehikel einfach kein Interesse mehr. Ich wage hinzuzufügen: ergo an ihrer eigenen Unterdrückung. Die oft besungene Freiheit, die jedem Menschen gehört, ist der Grundsatz. In der Bundesrepublik lautet der erste Satz der Verfassung: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Zur Würde gehört aber auch die Freiheit. Und sei es, wie Hölderlin sagte, die Freiheit, aufzubrechen wohin. Auch das ist natürlich fest in meiner Biographie verwurzelt. Ich bin also kein Entwurzelter, sondern ein fest in meiner Biographien Wurzelnder. Wenn sie so wollen, habe ich mir das aus der DDR auf meinem Weg mitgenommen. In der DDR wäre das nichts für mich geworden. Wo gab es in der DDR ein gründliches Journalistikstudium? Es gab keine in der DDR. Was es gab, war ein den kommunistischen Standpunkt zu beziehender verordneter sozialistischer Journalismus. Und das soll Journalismus sein? Das soll etwas mit Wahrheit zu tun haben? Was aber ist die Wahrheit? Auch das kann man in jeder Arbeit eines jeden guten Journalisten lesen. Es geht um Fakten und Folgen, dazu gehören wahre Empfindungen. Wir Menschen sind wohl vernunftbegabte aber eben auch sehr empfindsame Wesen. Wieviel Leid wird bloß verursacht, weil sich jemand in seiner Empfindung verletzt sieht. Hochaufgestockt Denkende nennen das verletzte Ehre. Stalin im Jesuitenkloster und die Folgen. Hitler erfolglos vor der Staffelei und die Folgen. Und dann all die freiwilligen Helfer, die aus Furcht, empfindsam getroffen zu werden, jedem Verbrechen dienlich sind. „Wir sind immer viel zu ängstlich“, sagt Meister Yehudi Menuhin so treffend.  Um all diese Auswirkungen zu fühlen und zu begreifen, muß man natürlich nicht alle diese Leiden durchlitten haben. Dazu gehört eine gründliche thematische Vorbereitung und etwas von der Ehre und vom Eid eines Arztes.
    
                 5. An welchen Themen arbeiten Sie gegenwärtig? Haben Sie vielleicht Pläne, die kein politisches Thema behandeln?
      
     Kommen wir also zur Eitelkeit. Eine gute Frage, an die sich  die Frage anschließt, was eigentlich nicht politisch ist. Sicherlich wirken Bücher heute nicht mehr so intensiv in die Politik ein, wie etwa Heinrich Bölls Novelle „Die verlorene Ehre der Katharina Blum", die in Westdeutschland große Wirkung hatte. 0der nehmen wir die vielen verbotenen Bücher im Ostblock, deren Veröffentlichungen, fast ausschließlich im Westen, für die  Autoren in der Heimat oft Fürchterliches zur Folge hatte. Oder der irrsinnige Akt der nationalsozialistisch bewegten Studenten am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz in Berlin. Allerdings gab es Bücherverbrennungen bereits zu Sokrates‘ Zeiten. Heute weisen die 200 Morde an Journalisten seit Anfang der 1990iger Jahre natürlich auch daraufhin, wie gefährlich bestimmte Texte für bestimmte Leute sind. Nur, was macht unsere Bücher denn so gefährlich? Abgesehen von der guten und notwendigen Aufarbeitung der eigenen jüngeren Geschichte seit 1990, bleiben für mich meine alten Fragen bestehen: Warum gibt es Leben? Warum streben wir nach Wahrheit? Was fange ich damit an? Das sind drei Fragen, die sich auch durch  meinen Roman ziehen, für den ich die letzten acht Jahre recherchiert habe. Der Roman umfaßt die Zeit der Ankunft deutscher Transmigranten in Algerien im Jahr 1846 - das heißt, die die Überfahrt überlebt haben - bis ins Jahr 2010. Im  1846er Bordbuch eines Schiffes, das ich als Scan besitze, stehen die Namen aller Passagiere der Überfahrt nach Oran (Algerien). Es sind Familien. Das jeweilige Alter der Familienangehörigen steht da. Es steht da der Beruf der Eltern. Und bei einigen findet sich der traurige Zusatz: mort au mer. Sprung. Der Erzähler des Romans ist auf einer Familienspur in Vietnam. Der Onkel des Erzählers bereiste Asien in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Weiterhin bedeutete für den Erzähler das Thema Vietnam einst so etwas wie ein kreativer Urknall. Wie ich stammt der Erzähler aus der einstigen DDR. Die Menschen in der der DDR wurden vom ersten Schultag an politisiert. Als der Erzähler im Fernsehen 1972 das von Napalm verbrannte Mädchen Kim Phuc auf der Straße von Trang Bang sah, schrieb er aus Empörung spontan ein Stück Prosa, in der  ein Adler, so auch der Titel, ins Weiße Haus fliegt und dem Präsidenten gehörig in den Kopf hackt. Dazu kommt seine Freundschaft zu einem älteren Berliner, der von 1947 bis 1954 als Fremdenlegionär für die französische Kolonialregierung in Indochina kämpfte. Dieser Bekannte, Heinz, ist sehr interessant. Bei seinen Recherchen fragt sich der Erzähler, warum war Heinz überhaupt dort? Heinz hatte eine erträgliche Anstellung in einem Bergwerk im Kreis Calais. Er ging 1947 als Freiwilliger dorthin für ein Jahr. Berlin und Deutschland, da war ja um diese Zeit noch immer alles zerstört. Diese Frage hilft dem Erzähler, soziologisch tiefer in die deutsche Verhältnisse vor und nach 1945/46 zu schauen. Vor allem kann der Erzähler den Protagonisten Heinz alle seine Fragen direkt stellen, denn Heinz ist noch immer am Leben. Und am Leben zu sein, am Leben zu bleiben, auf sein Leben acht zu geben, bedeutet viel, darum soll es in diesem Roman auch gehen. Das ist eine Quintessenz, die der Erzähler von seiner Recherchereise aus Vietnam mitbringt, denn, dies sei vorab gesagt, ungefährlich ist diese Reise nicht.  Dennoch, um noch einmal Hölderlin zu zitieren, „wo aber Gefahr ist, / wächst das Rettende auch.“

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