Samstag, 2. April 2016

Buchkritik: Das „erstaunliche Wort von der ‚deutschen Chance‘“. Der Mann Otto Klepper



Das „erstaunliche Wort von der ‚deutschen Chance‘“. Der Mann Otto Kleppervon Axel Reitel




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Astrid von Pufendorf
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Wir schreiben das Jahr 1947 und Otto Klepper - ehemaliger Finanzminister der Weimarer Republik und nach der Machtergreifung der Nazis Emigrant -, sprach es als erster in der noch anwesenden Trümmerwelt für das geschlagene Deutschland aus. Die promovierte Autorin Astrid von Pufendorf legt nun ein lesenswertes und faszinierendes Buch über das Scheitern dieses beeindruckenden und weltweit geachteten Wirtschaftsarchitekten vor. Zugleich verschafft das Buch der Leserschaft einen nachvollziehbaren Überblick über die Gründe und Abgründe deutscher Wirtschaftsgeschichte vom Deutschen Reich bis in die Bundesrepublik der 1950er Jahre.
Jahre vor 1933 hatte Klepper seine Stimme gegen Rechtspopulisten und Nazismus erhoben. Im Jahr 1938 wurde er Mitbegründer Exil-Zeitschrift "Die Zukunft", in der er die künftige deutsche Politik nach dem Nazireich schreibt. Zitat: "Wir wollen aber in die künftige deutsche Politik einen Zug tragen, der unser Volk zur europäischen Freiheit führt. Schwache Seelen glauben nicht an das Gelingen, sondern bezeichnen uns als Utopisten." 
Die Nationalsozialisten haben ihn derart gehasst, dass sie ihn mit immer wieder gestellten Auslieferungsanträgen „durch die ganze Welt hetzten“. Am Ende hat die Geschichte ihm und seinen vielen Mitstreitern Recht gegeben.
Nach dem Krieg aber war Otto Klepper zwar weltweit gut angesehen und besaß beste Kontakte nach Frankreich, England und den USA. Doch sollte am Ende ausgerechnet in Deutschland - das ihm viel, sehr viel zu verdanken hat - sein „Schatz von Erfahrungen, Wissen, Urteil und sein Charakter…ungenutzt“ bleiben. Warum war das so? Das interessiert mich.
Es ist eine alte Geschichte, die „unweigerlich“ an den Punkt der Schuld und zu den Möglichkeiten der Wiedergutmachung und der Aussöhnung führt. Zwar blieb Otto Klepper durch die Machtergreifung gar kein anderer Weg als den in die Emigration - doch waren nach 1945 die im Reich Dagebliebenen vor allem und in erster Linie um ihre eigene Zukunft besorgt. 
Bei dieser (spannend beschriebenen) Jagd nach Pöstchen und Posten wurden gerade die Emigranten „im Allgemeinen“ als störend empfunden. Das lag weniger als vermutend etwa an moralisch sauberen Lebensläufen – von denen wollten die wenigsten etwas hören – sondern der nicht identische - der andere – Stallgeruch (der zum Gegenangriff blasen lässt).
Und so spielt es im Grunde gar keine Rolle - wie im Buch zu lesen -, ob Otto Kleppers gute Eigenschaften von den hugenottischen Ahnen herrühren. Sehr wohl aber, dass fast jedes Mal Kollaboration „so ausgezeichnet“ klappt, der Widerstand sich dagegen stets langsamer entwickelt, und nach der Niederlage „die Problematik“ im großen Stil unverarbeitet bleibt. Für den Rezensenten ist es das versteckte Thema des Buches: nämlich der Weg eines Protagonisten trotz großartiger – gesellschaftsrelevanter - Lebensleistungen am Ende in die „Vereinsamung“ und Wissen um die „tragische Vergeblichkeit um sein Tun seit 1947“. Oder wurde Otto Klepper gar, wie Stimmen im Buch es behaupten, im Stalins Namen ermordet? Wundern würde es nicht aufgrund tatsächlicher Mordfälle und Mordversuche, die auf das Konto von KGB und MfS gehen.
Es hätte auf jeden Fall ein glanzvolles Leben sein können, wenn man ihm gegenüber schon einmal zu Hause dankbarer gewesen wäre. Denn allein die Gründung der der WIPOG („Wirtschaftspolitische Gesellschaft von 1947“) war ohne wenn und aber ein Geniestreich, der Westdeutschland obendrein das Schönste beschert hat: das Wirtschaftswunder. Weiterhin hätte es ohne die WIPOG keine FAZ gegeben, deren geistiges Kind sie in ihren Anfängen ist. Nach der ersten Ausgabe der FAZ im September 1949, begann ein schwieriges erstes Jahr, in dem um vieles gerungen wurde und am meisten wohl um die Neubelebung eines einheitlichen Nationalgefühls. Das bedeutete für die Gesellschafter der FAZ: strikt abseits „einseitiger Standpunkte“ und gerade heraus der „Bildung einer neuen Einstellung“ zu dienen, “in der sich das ganze deutsche Volk zusammenfinden könne.“ 
Dass sich das ganze deutsche Volk im Herbst 1990 - vierzig Jahren später – zusammenfand, war vielleicht spät, zu spät war es nicht. Es hat in diesen vier Dekaden immer wieder den Versuch gegeben, mit viel Sein und Schein „wieder wer zu sein“ zu sein. Aber es hat sich auch einiges durch die neuen Sichtweisen und Einsichten der Nachfolggenerationen abbauen können.
Dass das Wirtschaftswunder eine Diskussion über die braune Vergangenheit nicht gefördert hat, liegt heute ebenso auf der Hand, wie sich für die aus demselben braunen Sumpf hervorgegangene DDR jener Vergangenheit durch das einmalige Großreinemachen der Waldheimer Prozesse 21. April bis zum 29. Juni 1950 erledigt hat. Das war freilich nur „nach außen hin“. Noch im Jahr 1954 waren „27 Prozent aller Mitglieder der DDR-Regierungspartei zuvor in der NSDAP und deren Gliederungen“ (DER SPIEGEL 24.9.2012).
Es durfte darüber geschwiegen werden. Für den „gemeinsamen“ Aufbau des Sozialismus als Übergang zu Kommunismus durfte es vor allem „keine Fehlerdiskussionen“ geben. Die Devise hieß „nach vorne diskutieren“. Damit war einem hoch-ideologischen Konsensualismus der Weg geebnet, dem u.a. mit Margit Honecker als Bildungsministerin im SED-Staat eine langjährige BDM – Führerin vorstand, die noch im Frühjahr 1989 auf dem DDR-Pädagogen-Kongress ihr Wort dafür erhob, mit der Waffen in der Hand gegen die vorzugehen, die aus der Reihe tanzen. 
Dass die DDR auf diesem Weg „in die nächste Diktatur rein marschiert ist und zwar mit Karacho“ (Henry Leide), ist eine bittere Geschichte vor allem für die Abertausende Opfer dieses Regimes (zu denen womöglich also auch Otto Klepper gehört). Dass sich dagegen die Bundesrepublik zu einer blühenden Demokratie entwickeln konnte, haben wir auf jeden Fall Über-den-Tellerrand-Denkern wie Otto Klepper zu verdanken. 
Dennoch habe Klepper, heißt es im Buch resümierend, zwar stets in die Zukunft gedacht, manchmal aber (wichtige) Kleinigkeiten übersehen. Gerade das ist das Schicksal tragischer Helden. Und auch er - Otto Klepper - war natürlich vergänglich wie Achilles.

Wir haben ihm zu danken.

Und der Autorin auch.

Astrid von Pufendorf. Mut zur Utopie. Otto Klepper – ein Mensch zwischen den Zeiten. Societäts-Verlag 2015, 373 Seiten, 14,80 Euro. ISBN 978-3-95542-118-2

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